In eisige Höhen
Jangbus Vater, Ngawang Sya Kya – ein geweihter Lama –, entfachte unter stahlgrauem Himmel Räucherwerk aus Wacholderzweigen und sang aus buddhistischen Schriften. Neal sagte ein paar Worte, dann sprach Guy, und schließlich beklagte Anatoli Boukreev den Verlust Scott Fischers. Ich erhob mich und stammelte ein paar Erinnerungen an Doug Hansen. Pete Schoening versuchte uns allen Mut zuzusprechen, indem er uns aufforderte, nach vorn zu blicken, nicht zurück. Aber als die Zeremonie zu Ende war und jeder sich in sein Zelt zurückzog, hing über dem Lager düstere Beerdigungsstimmung.
Am nächsten Morgen kam in aller Früh ein Hubschrauber an, um Charlotte Fox und Mike Groom zu evakuieren. Sie hatten beide schwere Erfrierungen an den Füßen erlitten, die sofortiger medizinischer Behandlung bedurften. John Taske, der Arzt war, begleitete sie, um Charlotte und Mike auf dem Flug zu betreuen. Dann, kurz vor Mittag, während Helen Wilton und Guy Cotter zurückblieben, um den Abbruch des Adventure-Consultants-Lagers zu beaufsichtigen, brachen Lou Kasischke, Stuart Hutchison, Frank Fischbeck, Caroline und ich vom Basislager Richtung Heimat auf.
Am Donnerstag, dem 16. Mai, wurden wir per Hubschrauber von Pheriche nach Syanboche geflogen, einem kleinen Dorf gleich oberhalb von Namche Bazaar. Als wir über die unbefestigte Landebahn gingen, um auf unseren Anschlußflug nach Katmandu zu warten, wurden Caroline und ich von drei Japanern mit aschfahlem Gesicht angesprochen. Der erste stellte sich als Muneo Nukita vor – ein ausgezeichneter Himalaja-Bergsteiger, der bereits zweimal auf dem Gipfel des Everest gestanden hatte – und erklärte dann höflich weiter, daß er als Begleiter und Dolmetscher für die anderen beiden agiere, die er als Yasuko Nambas Ehemann, Kenichi Nama, und ihren Bruder vorstellte. In den nächsten fünfundvierzig Minuten stellten sie viele Fragen, von denen ich nur wenige beantworten konnte.
Yasukos Tod hatte inzwischen in ganz Japan Schlagzeilen gemacht. Tatsächlich hatte bereits am 12. Mai – weniger als vierundzwanzig Stunden nachdem Yasuko auf dem Südsattel den Tod gefunden hatte – ein Hubschrauber mitten im Basislager aufgesetzt. Herausgesprungen kamen zwei japanische Journalisten mit Sauerstoffmasken. Die beiden schnappten sich den ersten, der ihnen über den Weg lief – einen amerikanischen Bergsteiger namens Scott Darsey –, und wollten alles über Yasuko wissen. Jetzt, vier Tage später, warnte uns Nukita, daß ein ähnlich sensationslüsterner Schwarm von Zeitungs- und Fernsehreportern in Katmandu für uns auf der Lauer lag.
Am späten Nachmittag zwängten wir uns in einen riesigen Mi-iy-Hubschrauber und hoben durch ein Wolkenloch in den Himmel ab. Eine Stunde später landete die Maschine auf dem Tribhuvan International Airport, und wir traten in ein Dickicht aus Mikrofonen und Fernsehkameras. Als Journalist empfand ich es als höchst lehrreich, die Dinge einmal von der anderen Seite des Zauns zu erleben. Dem Reporterrudel, das zum größten Teil aus Japanern bestand, verlangte es nach einer fein säuberlich niedergeschriebenen Version der Katastrophe, ausgeschmückt mit Schurken und Helden. Aber das Chaos und Leid, das ich erlebt und mit angesehen hatte, konnte nun einmal nicht so einfach auf ein paar Geräusch-Häppchen reduziert werden. Nachdem ich 20 Minuten lang auf dem Rollfeld mit Fragen durchlöchert worden war, wurde ich von David Schensted gerettet, dem Konsul der amerikanischen Botschaft. Er lieferte mich im Garuda Hotel ab.
Es folgten weitere ausführliche Interviews – mit anderen Reportern, und dann Gespräche mit einer ganzen Schar düster dreinblickender Beamter des Ministeriums für Tourismus. Es war ein einziger Spießrutenlauf. Freitag abend schließlich, als ich ziellos durch die Gassen Thamels, des Touristenviertels Katmandus, wanderte, sagte ich mir, daß ich unbedingt was tun mußte, um meiner immer schlimmer werdenden depressiven Stimmung zu entkommen. Ich gab einem dürren nepalesischen Jungen eine Handvoll Rupien und bekam dafür ein in Papier gewickeltes, mit einem fauchenden Tiger verziertes Päckchen. Zurück im Hotelzimmer wickelte ich es aus und zerbröselte den Inhalt über einem Zigarettenpapier. In den blaßgrünen, nach überreifen Früchten duftenden Knospen klebte der Harz. Ich drehte einen Joint, rauchte ihn bis auf den Stummel auf, drehte eine zweite Tüte und paffte auch diese beinahe bis zur Hälfte runter. Dann fingen die Wände an, sich
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