In eisige Höhen
Zwei aufgetaut worden waren, konnte er weder gehen noch stehen; Breashears, Athans und ich kamen also darin überein, daß der Taiwanese ausgeflogen werden sollte. »Tut mir leid«, rief ich Beck im Getöse der Turbinen zu. »Vielleicht schafft er's ja noch und fliegt ein zweites Mal her.« Beck nickte gelassen.
Wir hievten Gau ins Heck des Hubschraubers, und die Maschine quälte sich zögernd in die Lüfte. Gleich nachdem Madan mit seinen Gleitkufen vom Gletscher abgehoben hatte, lenkte er die Maschine nach vorn, ließ sie dann wie einen Stein hinter der Lippe des Gletscherbruchs fallen und verschwand in den Schatten. Eine drückende Stille lastete über dem Cwm.
Als wir 30 Minuten später noch immer um die Landbasis herumstanden und darüber diskutierten, wie wir nun Beck hinunterschaffen sollten, drang ein entferntes SCHLOCK-SCHLOCKSCHLOCK-SCHLOCK aus dem Tal zu uns hinauf. Das Geräusch wurde lauter und lauter, und plötzlich tauchte der kleine grüne Hubschrauber vor unseren Augen auf. Madan flog die Maschine noch ein Stück weiter das Cwm hoch und wendete dann, so daß die Schnauze bergabwärts zeigte. Dann setzte er mit dem Squirrel ohne langes Zaudern ein zweites Mal auf dem Kool-Aid-Landekreuz auf, und Breashears und Athans brachten Beck in aller Eile an Bord. Ein paar Sekunden später befand sich der Hubschrauber bereits wieder in der Luft und huschte wie eine skurrile Libelle an der Westschulter des Everest vorbei. Eine Stunde später waren Beck und Makalu Gau in einem Krankenhaus in Katmandu in Behandlung.
Als die Bergungsmannschaft sich nach und nach aufgelöst hatte, blieb ich noch lange Zeit allein im Schnee sitzen, starrte meine Stiefel an und versuchte, mir irgendwie einen Reim auf das zu machen, was in den letzten 72 Stunden geschehen war. Warum nur war alles so dermaßen schiefgegangen? Warum nur waren Andy und Rob und Scott und Doug und Yasuka tot? Aber sosehr ich mich auch bemühte – mir wollte einfach keine Antwort auf diese Fragen einfallen. Das Ausmaß dieser Katastrophe lag so weit jenseits meines Vorstellungsvermögens, daß mein Hirn eine Art Kurzschluß erlitt und wie in Dunkelheit getaucht war. Ich ließ schließlich alle Hoffnungen fahren, jemals zu begreifen, was sich hier abgespielt hatte. Ich warf mir meinen Rucksack über und machte mich, ängstlich wie eine Katze, auf den Weg in die zu Eis gefrorene Hölle des Gletscherbruchs, um meinen letzten Trip durch diesen Irrgarten zusammenstürzender Seracs anzutreten.
KAPITEL EINUNDZWANZIG
Basislager des Everest
13. Mai 1996
5.400 Meter
Natürlich wird man hier ein paar Worte des reiflichen Urteils über eine Expedition erwarten, die in einem Moment scheiterte, in dem wir dem Erfolg so nahe waren. Auf der einen Seite Amundsen, der kurzerhand dorthin fuhr, als erster ankam und zurückkehrte, ohne auch nur einen einzigen Mann verloren zu haben und ohne sich und seinen Männern mehr abverlangt zu haben, als es das Tagwerk einer Polarexpedition erfordert. Auf der anderen Seite unsere Expedition, die sich in schlimmste Gefahren begab, Wunderwerke übermenschlicher Ausdauer vollbrachte, unsterblichen
Ruhm erntete, dem in feierlichen kirchlichen Messen und mit öffentlichen Statuen gedacht wurde, und doch nur am Pol ankam, um zu entdecken, daß die schreckliche Fahrt umsonst war, und die dann unsere besten Männer tot auf dem Eis zurückließ. Einen solchen Widerspruch zu ignorieren wäre geradezu lächerlich: und ein Buch zu schreiben, ohne eine genügende Erklärung zu finden, reine Zeitverschwendung.
APSLEY CHERRY-GARRARD
The Warst Journey in the World
Ein Bericht über Robert Falcon Scotts
verhängnisvolle Expedition von 1912 an den Südpol
Als ich am Montag morgen, dem 13. Mai, den letzten Hügel des Khumbu-Gletscherbruchs nahm, warteten Ang Tshering, Guy Cotter und Caroline Mackenzie unten am Gletscherrand auf mich. Guy gab mir ein Bier, Caroline umarmte mich, und dann weiß ich nur noch, wie ich tränenüberströmt auf dem Eis saß, den Kopf in die Hände gestützt. Seit meiner Kindheit hatte ich nicht mehr so geweint. Ich war nun in Sicherheit, und die ganze zermürbende Anspannung der letzten Tage fiel von mir ab. Ich weinte um die Kameraden, die ich verloren hatte, ich weinte aus Dankbarkeit, am Leben zu sein, ich weinte, weil es ein schreckliches Gefühl war, überlebt zu haben, während andere sterben mußten.
Am Dienstag nachmittag leitete Neal Beidleman eine Gedenkfeier im Mountain-Madness-Lager. Lopsang
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