In eisige Höhen
ist, mit unbenutzten Schuhen zum Everest anzureisen: Vor 20 Jahren hatte ich selbst einmal eine Expedition mit neuen, nicht eingelaufenen Stiefeln unternommen, die mir schließlich wunde Füße beschert und mich geschwächt haben.
Stuart, der junge kanadische Kardiologe, mußte feststellen, daß seine Steigeisen nicht unter seine neuen Schuhe paßten. Zum Glück schaffte Rob es mit seiner umfangreichen Werkzeugsammlung und dank genialer Tüftelarbeit, einen speziellen Gurt zusammenzunieten und die Steigeisen benutzbar zu machen.
Als ich meinen Rucksack für den nächsten Tag packte, erfuhr ich, daß nur wenige meiner Kameraden, voll eingespannt von ihrem Familienleben und ihren Hochleistungs-Karrieren, im letzten Jahr die Gelegenheit hatten, mehr als ein-, zweimal Bergsteigen zu gehen. Obwohl alle in bester physischer Verfassung zu sein schienen, waren sie umstandshalber gezwungen, den größten Teil ihres Fitneßtrainings auf dem Stair-Master und anderen Foltermaschinen zu absolvieren anstatt auf Bergen. Dies gab mir zu denken. Körperliche Fitneß ist beim Bergsteigen ein entscheidender Faktor, aber es gibt andere, ebenso wichtige Komponenten, von denen keine einzige in einer Turnhalle geübt werden kann.
Aber vielleicht spiel ich hier ja nur den Snob, rügte ich mich. Wie dem auch sei, es war offensichtlich, daß meine Kameraden über die Aussicht, beim nächsten Tagesanbruch ihre Steigeisen in einen echten Berg zu bohren, ebenso aufgeregt waren wie ich.
Unsere Route zum Gipfel folgte dem Khumbu-Gletscher über die untere Hälfte des Berges. Dieser riesige Eisstrom ergoß sich vom 7000 Meter hohen Bergschrund 13 aus, der sein oberes Ende markierte, zweieinhalb Meilen lang über ein relativ sanftes Tal, das sogenannte Western Cwm. Als der Gletscher sich zentimeterweise über die kleinen Hügel und Senkungen der dem Cwm unterliegenden Bodenschicht schob, zerbrach er in zahllose senkrechte Spalten – Gletscherspalten. Einige davon waren schmal genug, um darüber hinwegzuschreiten; andere waren über zwanzig Meter breit, mehrere hundert Meter tief und eine halbe Meile lang. Die größeren konnten uns bei unserer Besteigung schwer zu schaffen machen, vor allem wenn sie sich unter einer Schneedecke verbargen, stellten sie eine ernsthafte Gefahr dar. Die Gletscherspalten des Cwm haben sich jedoch über die Jahre als ein durchaus kalkulierbares Risiko herausgestellt, das zu bewältigen ist.
Der Gletscherbruch wiederum war eine andere Geschichte. Kein anderes Teilstück der Südsattel-Route war unter Bergsteigern gefürchteter. Bei etwa 6.000 Metern, an einer Stelle, an der der Gletscher aus dem unteren Ende des Cwm heraustrat, fiel er jäh einen steilen Hang hinunter. Dies war der berüchtigte Khumbu-Gletscherbruch, der technisch schwierigste Abschnitt der gesamten Route.
Messungen ergaben, daß die Vorwärtsbewegung des Gletschers teilweise über einen Meter pro Tag beträgt. Die Eismasse rutscht ruckweise das steile, unebene Terrain hinunter und zersplittert in ein Chaos aus riesigen, wackeligen Zacken, sogenannten
Seracs
oder Eistürmen, von denen einige so groß wie Bürotürme sind.
Da sich die Kletterroute unter und zwischen Hunderten dieser brüchigen Eistürme schlängelte, hatte jeder Gang durch den Gletscherbruch etwas von russischem Roulette: früher oder später würde irgendein Serac ohne Vorwarnung zusammenstürzen, und man konnte nur hoffen, daß man sich in dem Moment nicht direkt unterhalb davon befand. Seit 1963, als Jake Breitenbach, ein Kamerad von Hornbein und Unsoeld, von einem hinunterstürzenden Serac erschlagen worden war und das erste Opfer des Gletscherbruchs wurde, verloren achtzehn weitere Bergsteiger hier ihr Leben.
Vergangenen Winter – wie in jedem Winter zuvor – hatte Hall sich mit den Führern der anderen Expeditionen zusammengesetzt, die den Berg im Frühjahr besteigen wollten. Sie verständigten sich darauf, daß eines der Teams eine Route durch den Gletscherbruch auskundschaftet und präpariert. Jenes Team bekam von den anderen Expeditionen auf dem Berg für seine Mühe 2.200 Dollar. In den letzten Jahren ist dieser gemeinschaftliche Ansatz allgemein begrüßt worden, aber das ist nicht immer so gewesen.
1988 war das erste Jahr, in dem das so ablief. Damals hatte eine mit einem dicken Budget ausgestattete amerikanische Expedition verkündet, daß jede andere Expedition, die vorhatte, ihre Route zu nehmen, die sie im Gletscherbruch präpariert hatten, 2.000 Dollar
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