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In eisige Höhen

Titel: In eisige Höhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Krakauer
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als ich sah, daß sie es im Duo taten, beinahe im Gleichschritt – ein völlig überflüssiges, zusätzliches Risiko. Auf der anderen Seite der Gletscherspalte versuchte ich dann mehr schlecht als recht, mich mit ihnen zu unterhalten, und erfuhr, daß sie einer taiwanesischen Expedition angehörten.
    Den Taiwanesen war ihr Ruf zum Everest vorausgeeilt. Im Frühling 1995 war das gleiche Team nach Alaska gereist, um sich – als eine Art Generalprobe für die Everest-Besteigung – am Mount McKinley zu versuchen. Neun Bergsteiger erreichten den Gipfel, aber sieben davon wurden beim Abstieg von einem Unwetter überrascht. Sie verloren die Orientierung, mußten bei 5 900 Metern eine Nacht im Freien verbringen und setzten eine riskante und kostspielige Rettungsaktion des National Park Service in Gang.
    Alex Lowe und Conrad Anker, zwei der besten Alpinisten Amerikas, unterbrachen bei 4400 Metern auf Bitte der Park Rangers ihren eigenen Besteigungsversuch und eilten den Taiwanesen zu Hilfe, die zu jenem Zeitpunkt bereits mit dem Tod rangen. Mit größten Schwierigkeiten und unter Einsatz ihres eigenen Lebens schleppten Lowe und Anker jeweils einen Taiwanesen von 5 900 Metern auf 5 250 Meter Höhe herunter, wo sie von einem Hubschrauber evakuiert werden konnten. Alles in allem wurden fünf Mitglieder des taiwanesischen Teams zwei mit schweren Erfrierungen und ein Toter – vom McKinley geborgen. »Nur einer ist gestorben«, sagt Anker. »Aber wenn Alex und ich nicht so schnell oben gewesen wären, wären noch zwei weitere draufgegangen. Die Taiwanesen waren uns schon vorher aufgefallen, weil sie so unfähig und dilettantisch wirkten. Hat uns nicht überrascht, daß sie in Schwierigkeiten geraten sind.«
    Der Leiter der Expedition, Gau Ming-Ho – ein jovialer, freischaffender Fotograf, der sich selbst »Makalu« nennt, nach dem imposanten Himalaja-Berg-, war völlig entkräftet und mußte halb erfroren von zwei Bergführern aus Alaska nach unten geleitet werden. »Als die Alaskaner ihn hinunterbrachten«, erzählt Anker, »rief Makalu jedem, der vorbeikam, zu: ›Sieg! Sieg! Wir haben den Gipfel erobert!‹, als wenn das Debakel gar nicht passiert wäre. Ja, ja, dieser Makalu kam mir schon ziemlich daneben vor.« Als die Überlebenden des McKinley-Debakels 1996 auf der Südseite des Everest auftauchten, war es wieder Makalu Gau, der sie anführte.
    Die Anwesenheit der Taiwanesen auf dem Everest löste unter den anderen Expeditionen auf dem Berg erhebliche Besorgnis aus. Es bestand die nicht unberechtigte Befürchtung, daß die Taiwanesen in Not geraten würden und andere Expeditionen als Retter fungieren müßten. Dadurch würden noch mehr Menschenleben aufs Spiel gesetzt, ganz zu schweigen davon, daß anderen Bergsteigern die Möglichkeit entginge, den Gipfel zu erreichen. Aber die Taiwanesen waren beileibe nicht das einzige Team, das mordsmäßig unqualifiziert wirkte. Neben uns im Basislager kampierte ein fünfundzwanzigjähriger norwegischer Bergsteiger namens Fetter Neby, der allen seine Absicht kundtat, im Alleingang die Südwestwand 17 zu besteigen, eine der gefährlichsten und technisch anspruchsvollsten Everest-Routen – trotz der Tatsache, daß sich seine Himalaja-Kenntnisse auf zwei Besteigungen des benachbarten Island Peak beschränkten, einem 6180 Meter hohen Buckel auf einem Seitengrat des Lhotse, der nichts als ein paar stramme Beine verlangt.
    Und dann waren da die Südafrikaner. Von einer großen Zeitung, der Johannesburger
Sunday Times,
gesponsert, hatte ihr Team eine Welle von überschwenglichen patriotischen Gefühlen ausgelöst. Vor der Abreise hatten sie sogar den Segen von Präsident Mandela empfangen. Sie waren das erste südafrikanische Team, dem jemals eine Genehmigung für eine Everest-Besteigung erteilt worden war, eine gemischtrassige Schar, von dem Ehrgeiz getragen, den ersten Farbigen auf den Gipfel zu stellen. Ihr Leiter war Ian Woodall, neununddreißig, eine geschwätzige mausähnliche Type, der sich ständig in Anekdoten über seine mutigen Taten als Militärbefehlshaber hinter den feindlichen Linien erging, während Südafrikas langem, brutal geführten Konflikt mit Angola in den Achtzigern.
    Woodall hatte drei der besten südafrikanischen Bergsteiger rekrutiert, die den Kern seines Teams bilden sollten: Andy de Klerk, Andy Hackland und Edmund February. Die gemischtrassige Zusammensetzung des Teams war für den vierzigjährigen February, einem zurückhaltenden farbigen Paläoökologen und

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