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In eisige Höhen

Titel: In eisige Höhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Krakauer
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Bergsteiger von internationalem Rang und Namen, von besonderer Bedeutung. »Meine Eltern haben mich nach Sir Edmund Hillary benannt«, erklärte er. »Den Everest zu besteigen war schon von klein an einer meiner ganz persönlichen Träume. Aber viel wichtiger war noch, daß ich in der Expedition ein bedeutendes Zeichen für eine Nation gesehen habe, die mitten im Einigungsprozeß steht und versucht, demokratische Verhältnisse zu schaffen und sich von seiner Vergangenheit zu befreien. Ich bin in vielen Dingen unter dem Joch der Apartheid aufgewachsen, und ich bin darüber sehr verbittert. Aber nun sind wir eine neue Nation. Ich glaube fest an die Richtung, die mein Land einschlägt. Zu zeigen, daß wir Südafrikaner zusammen den Everest besteigen können, Schwarz und Weiß auf dem Gipfel – das wäre schon großartig.«
    Die gesamte Nation stellte sich hinter die Expedition. »Woodall hat für das Projekt wirklich genau den richtigen Augenblick erwischt«, meinte de Klerk. »Mit dem Ende der Apartheid konnten Südafrikaner endlich reisen, wohin sie wollten, und unsere Sportler konnten in der ganzen Welt an Wettkämpfen teilnehmen. Südafrika hat gerade die Rugby- Weltmeisterschaft gewonnen. Die ganze Nation war von einer Welle der Euphorie erfaßt, jeder war echt stolz, okay?« Als Woodall also mit seiner südafrikanischen Everest-Expedition ankam, waren alle hellauf begeistert, und er hat viel Geld lockermachen können – umgerechnet ein paar hunderttausend US-Dollar –, ohne daß die Leute viele Fragen gestellt hätten.«
    Neben sich, den drei männlichen Bergsteigern und einem britischen Bergsteiger und Fotografen namens Bruce Herrod wollte Woodall eine Frau bei der Expedition dabeihaben. Bevor er also aus Südafrika aufbrach, lud er sechs weibliche Kandidatinnen zu einer Besteigung des 5895 Meter hohen Kilimandscharo ein, körperlich wohl eine Tortur, technisch jedoch anspruchslos. Am Ende des zweiwöchigen Ausscheidungskampfes verkündete Woodall, daß er das Feld der Bewerberinnen auf zwei Finalistinnen reduziert habe: Cathy O'Dowd, sechsundzwanzig, eine weiße Journalismus-Dozentin mit begrenzter Bergsteigererfahrung, deren Vater Vorstand der Anglo American ist, dem größten südafrikanischen Wirtschaftskonzern; und Deshun Deysel, fünfundzwanzig, eine schwarze Sportlehrerin ohne jegliche Klettererfahrung, die in einem Township mit strenger Rassentrennung aufgewachsen ist. Woodall sagte schließlich, daß beide Frauen das Team ins Basislager begleiteten; er wolle noch ihre Leistung während des Treks abwarten und erst dann entscheiden, welche der beiden beim Anstieg auf den Gipfel mit von der Partie sein würde.
    Am 1. April, dem zweiten Tag meiner Wanderung zum Basislager, traf ich unterhalb von Namche Bazaar zu meinem Erstaunen February, Hackland und de Klerk, wie sie aus den Bergen ferawswanderten, Richtung Katmandu. De Klerk, ein Freund von mir, erzählte mir, daß sie zusammen mit Charlotte Noble, ihrer Teamärztin, aus der Expedition ausgestiegen seien, noch bevor man überhaupt am Fuße des Berges angekommen war. »Woodall, der Leiter, hat sich als waschechtes Arschloch rausgestellt«, erklärte de Klerk. »Der totale Kontrollfreak. Und vertrauen konnte man ihm auch nicht – wir haben nie gewußt, ob er uns nun irgendeinen Scheiß auftischt oder die Wahrheit sagt. Wir wollten unser Leben nicht in die Hände von so einem Typen geben. Also sind wir abgehauen.«
    Woodall hatte gegenüber de Klerk und anderen behauptet, daß er den Himalaja kenne wie seine Westentasche und auch schon über 8.000 Meter geklettert sei. In Wahrheit beschränkten sich Woodalls himalajische Klettererlebnisse darauf, daß er einmal 6.200 Meter erreicht hatte, als zahlender Kunde einer von Mal Duff im Jahre 1990 geleiteten kommerziellen Expedition an den Annapurna.
    Darüber hinaus hatte Woodall, bevor man zum Everest aufgebrochen war, im Internetdienst der Expedition mit einer hervorragenden militärischen Laufbahn geprahlt. Als Soldat der
    britischen Armee sei er mehrfach befördert worden, »um schließlich Kommandeur der Elite-Einheit Long Range Mountain Reconnaissance Unit zu werden, die ein Großteil ihrer Ausbildung im Himalaja absolviert«. Der
Sunday Times
hatte er weisgemacht, daß er auch Militärausbilder an der Royal Academy von Sandhurst, England, gewesen sei. Nun ist es aber zufälligerweise so, daß es in der britischen Armee so was wie eine Long Range Mountain Reconnaissance Unit gar nicht gibt, und Woodall

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