Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

In eisige Höhen

Titel: In eisige Höhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Krakauer
Vom Netzwerk:
»Anweisung« von Mr. Woodall handele. Sie sagte, daß Shorey bereits aus dem Lager hinausgeworfen worden sei und daß ich besser daran täte, ihm zu folgen, da mir weder Essen noch Unterkunft gewährt werden würde. Ich war von dem Marsch noch ganz wackelig auf den Beinen, und bevor ich entschied, ob ich mich der Verordnung widersetzen oder gehen würde, bat ich sie um eine Tasse Tee. »Auf gar keinen Fall«, erwiderte sie. Ms. O'Dowd ging zu Ang Dorje, dem Anführer der Expeditionssherpas, und sagte mit deutlich hörbarer Stimme: »Der Herr dort ist Ken Vernon, einer der Leute, von denen wir Ihnen erzählt haben. Ihm ist jede Unterstützung zu verweigern.« Ang Dorje ist ein Baum von einem Kerl, und wir hatten so manches Glas Chang miteinander geleert, dem beinahe feuergefährlichen Gebräu der Einheimischen. Ich sah ihn an und fragte: »Nicht einmal eine Tasse Tee?« Es spricht für ihn, daß er ganz im Sinne der traditionellen Gastfreundschaft der Sherpas Ms. O'Dowd einfach nur anblickte und sagte: »Quatsch.« Er packte meinen Arm, schleppte mich ins Speisezelt und servierte mir eine Tasse dampfenden Tee mit einem Teller Kekse.
    Im Anschluß an das, was Owen als »schaudererregenden Meinungsaustausch« mit Woodall in Pheriche beschrieb, kam der Herausgeber zu der »Einsicht... daß die Atmosphäre innerhalb des Expeditionsteams vergiftet und das Leben der ständigen Mitarbeiter der
Sunday Times,
Vernon und Shorey, in ernsthafter Gefahr war«. Owen wies daher Vernon und Shorey an, nach Südafrika zurückzukehren, und die Zeitung publizierte eine Erklärung, in der sie die Unterstützung für die Expedition zurücknahm.
    Da Woodall bereits das Geld der Zeitung kassiert hatte, konnte es sich dabei nur um einen symbolischen Akt handeln, der so gut wie keinen Einfluß auf sein weiteres Vorgehen auf dem Berg hatte. Woodall weigerte sich sogar – selbst nachdem er einen Brief von Nelson Mandela erhalten hatte, in dem zur Versöhnung als eine Angelegenheit des nationalen Interesses aufgerufen wurde –, die Führung der Expedition niederzulegen oder auch nur einen irgendwie gearteten Kompromiß einzugehen. Er bestand stur darauf, daß die Everest-Besteigung wie geplant durchgeführt werde, mit ihm am Ruder.
    Nachdem das Expeditionsteam also auseinandergebrochen und er wieder zurück in Kapstadt war, beschrieb February seine Enttäuschung. »Vielleicht war ich ja naiv«, sagte er mit bewegter Stimme. »Aber ich habe es gehaßt, unter der Apartheid groß zu werden. Den Everest mit Andrew und den anderen zu besteigen wäre ein tolles Symbol dafür gewesen, daß das alte System endgültig zusammengebrochen ist. Woodall hatte nicht das geringste Interesse an der Geburt eines neuen Südafrika. Er hat die Träume einer ganzen Nation für seine eigenen egoistischen Ziele mißbraucht. Die Entscheidung, aus der Expedition auszusteigen, war die härteste meines Lebens.«
    Mit der Abreise von February, Hackland und de Klerk befand
    sich in dem Team niemand mehr, der mehr als ein Minimum an alpiner Erfahrung auf zuweisen gehabt hätte (abgesehen von dem Franzosen Renard, der sich der Expedition nur angeschlossen hatte, um auf der Genehmigungsliste zu stehen, und der unabhängig von den anderen kletterte, mit seinen eigenen Sherpas). Mindestens zwei von den Leuten wußten nicht einmal ihre Steigeisen zu befestigen.
    Der Solo-Norweger, die Taiwanesen und besonders die Südafrikaner waren in Halls Speisezelt ein anhaltendes Thema. »Mit so vielen Dilettanten auf dem Berg«, sagte Rob mit einem Stirnrunzeln an einem Abend Ende April, »ist es wohl ziemlich unwahrscheinlich, daß wir die Saison überstehen, ohne daß oben auf dem Berg irgendein Scheiß passiert.«
     

KAPITEL ACHT
    Camp Eins
16. April 1996
5.950 Meter

Kaum jemand wird wohl je ernsthaft behaupten, daß das Leben in großen Höhenlagen ein Vergnügen ist – und ich meine Vergnügen im üblichen Sinne des Wortes. Das qualvolle Schinden und Schuften auf dem Weg nach oben, und mag es auch noch so schleppend vorangehen, gibt einem immerhin eine gewisse grimmige Befriedigung; den größten Teil seiner Zeit verbringt man jedoch gezwungenermaßen in den extrem beengten, tristen Verhältnissen eines Hochlagers, wo einem sogar dieser Trost genommen ist. Rauchen ist völlig ausgeschlossen; essen führt häufig zum Erbrechen. Da das Gepäck auf ein bloßes Minimum reduziert werden muß, kann nichts zum Lesen mitgenommen werden, wenn man mal von den Etiketten auf Konservendosen

Weitere Kostenlose Bücher