In eisige Höhen
Bungee-Jumping, Skydiving oder mit einer Zweihundert-Sachen-Spritztour auf einem Motorrad gemein.
Oberhalb der Annehmlichkeiten des Basislagers verwandelte sich die Expedition in ein beinahe spartanisches Unternehmen. Zwischen Qual und Vergnügen bestand ein dermaßen eklatantes Mißverhältnis, wie ich es noch auf keinem anderen Berg erlebt hatte. Mir wurde schnell klar, daß es bei einer Besteigung des Everest in erster Linie darum ging, wieviel Schmerz man auszuhalten vermochte. Als wir uns so Woche für Woche der Plackerei, der Langeweile und den Qualen unterwarfen, ging mir irgendwann auf, daß die meisten von uns wohl vor allem so etwas wie einen Zustand der Gnade anstrebten.
Natürlich spielten bei einigen Everestern auch Tausende andere, weniger tugendhafte Beweggründe hinein: ein bescheidenes Maß an Berühmtheit, Karriereaufstieg, Ego-Massage, sich wichtig machen zu können und sicherlich auch schnöder Mammon. Aber solch niedrige Beweggründe fielen weniger ins Gewicht, als manche Kritiker vielleicht vermuten. Im Laufe der Wochen veranlaßten meine Beobachtungen mich jedenfalls dazu, meine Vorurteile über einige meiner Teamgefährten von Grund auf zu überdenken.
Zum Beispiel Beck Weathers, der gerade kaum mehr als ein winziger roter Flecken auf dem Eis 150 Meter unter mir war, am Ende einer langen Schlange von Bergsteigern. Mein erster Eindruck von Beck war alles andere als günstig ausgefallen: ein schulterklopfender Pathologe und unterdurchschnittlicher Bergsteiger aus Dallas; auf den ersten Blick ein reiches republikanisches Großmaul, das sich den Gipfel des Everest für seine Trophäensammlung kaufen wollte. Je näher ich ihn jedoch kennenlernte, desto mehr respektierte ich ihn. Obwohl seine steifen neuen Bergstiefel seine Füße zu Hackfleisch zerquetscht hatten, humpelte Beck weiter nach oben, tagein, tagaus, und erwähnte beinahe mit keinem Wort, welche entsetzlichen Schmerzen er aller Wahrscheinlichkeit nach ausstand. Er war zäh, entschlossen und ungemein beherrscht. Und was ich anfänglich für Arroganz hielt, schien mir nun zunehmend jugendlicher Überschwang zu sein. Der Mann schien niemandem auf der ganzen Welt Böses zu wollen (nicht mal Hillary Clinton). Immer gut gelaunt und grenzenlos optimistisch, war er ein so liebenswerter Kerl, daß ich irgendwann einfach nicht mehr umhinkonnte, ihn zu mögen.
Beck, Sohn eines höheren Air-Force-Offiziers, hatte seine Kindheit damit verbracht, von einem Militärstützpunkt zum anderen zu pendeln, bis er in Wichita Falls landete und dort aufs College ging. Nach dem Abschluß seines Medizinstudiums heiratete er, wurde Vater zweier Kinder und stieg in eine gutgehende Praxis in Dallas ein. 1986, als er mit über Vierzig bereits das Alter spürte, vernahm er während eines Urlaubs in Colorado den Sirenengesang der Berge und meldete sich bei einem Bergsteigerkurs für Anfänger im Rocky-Mountain-Nationalpark an.
Ärzte sind oft extrem leistungsorientiert, und Beck war nicht der erste Mediziner, der sich mit wahrer Begeisterung in ein neues Hobby stürzte. Aber Bergsteigen war etwas anderes als Golfen oder Tennis spielen oder die verschiedenen anderen Freizeitbeschäftigungen, mit denen seine Kollegen in Weiß überschüssige Energie abbauten. Die Anforderungen des Bergsteigens – die physischen und emotionalen Kämpfe, die nur allzu realen Risiken – machten es zu mehr als nur einem Spiel.
Klettern war wie das Leben selbst, nur in sehr viel konzentrierterer Form – und nichts hatte Beck jemals dermaßen gefesselt. Seine Frau Peach wurde zunehmend besorgter, wie extrem er in diese neue Welt eintauchte und wie sie die Familie seiner Gegenwart beraubte. Sie war alles andere als begeistert, als Beck recht bald, nachdem er den Sport zu seinem Hobby gemacht hatte, erklärte, daß er die Sieben Gipfel besteigen wolle.
So egoistisch und hochfliegend Becks Besessenheit auch gewesen sein mag, leichtfertig war sie jedenfalls nicht. Bald begann ich auch an Lou Kasischke, dem Anwalt aus Bloomfield Hills, eine ähnliche Entschiedenheit zu bemerken; an Yasuko Namba, der schweigsamen Japanerin, die jeden Morgen Nudeln zum Frühstück aß; und an John Taske, dem sechsundfünfzigjährigen Anästhesisten aus Brisbane, der nach seinem Ausscheiden aus der Armee mit dem Klettern angefangen hatte.
»Als ich die Uniform abgelegt habe, verlor ich irgendwie die Orientierung«, klagte Taske mit seinem starken australischen Akzent. Er war in der Armee ein hohes Tier
Weitere Kostenlose Bücher