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In eisige Höhen

Titel: In eisige Höhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Krakauer
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also ab – nur um zu entdecken, daß mein Atem ohne sie noch schwerer ging.
    Als ich das sogenannte Gelbe Band hinter mir hatte, ein überhängendes Felsgesims aus brüchigem, ockerfarbenem Kalkstein, hatte ich mich schließlich bis an die Spitze der Schlange vorgearbeitet und konnte mir nun eine etwas geruhsamere
    Gangart erlauben. Ich schob mich langsam, aber stetig voran. Am oberen Abschnitt der Lhotse-Flanke kletterte ich links im aufsteigenden Quergang weiter und nahm dann einen Felsvorsprung aus schwarzem Schiefer, den sogenannten Genfer Sporn. Mittlerweile hatte ich auch raus, wie man durch die Sauerstoffmaske atmet, und war meinem nächsten Kameraden über eine Stunde voraus. Einsamkeit war auf dem Everest ein seltenes Gut, und ich war dankbar dafür, an diesem Tag, in solch einer großartigen Umgebung, etwas davon abzubekommen.
    Bei 7900 Metern legte ich auf dem oberen Kamm des Sporns eine Pause ein, um einen Schluck Wasser zu trinken und die Aussicht zu genießen. Die dünne Luft war von einer schimmernden, kristallklaren Transparenz, die selbst ferne Gipfel greifbar nah erscheinen ließ. Die Gipfelpyramide war von der Mittagssonne in edles Licht getaucht und ragte weit aus den immer wieder auftauchenden Dunstschleiern heraus. Als ich durch das Teleobjektiv meiner Kamera blinzelte, entdeckte ich auf dem oberen Abschnitt des Südostgrates völlig überraschend vier ameisengroße Gestalten, die sich in beinahe unmerklichem Tempo auf den Südgipfel zubewegten. Ich dachte sofort, daß es sich dabei um Bergsteiger aus der montenegrinischen Expedition handeln mußte. Wenn sie es schafften, wären sie die ersten des Jahres, die auf dem Gipfel gestanden hatten. Ferner wäre damit geklärt, daß die Gerüchte von tiefem, beinahe unpassierbarem Schnee unbegründet waren – wenn sie es auf den Gipfel schafften, dann hatten wir vielleicht auch eine Chance, dort hinaufzukommen. Aber die diesigen Schneeböen, die bereits jetzt vom Gipfelgrat wehten, waren ein schlechtes Zeichen: Die Montenegriner kämpften sich durch tosende Winde nach oben.
    Um 13 Uhr kam ich auf dem Südsattel an, unserer Startrampe für die Attacke auf den Gipfel. Er liegt bei knapp 8000 Metern über Meereshöhe, ein verwaistes Plateau aus kugelsicherem Eis und windgepeitschten Felsblöcken, das sich in einer breiten Scharte zwischen den oberen Felswällen des Lhotse und des Everest
    ausbreitet. Der mehr oder minder rechteckig geformte Gebirgssattel hat ungefähr die Größe von vier mal zwei Footballfeldern und fällt am Ostrand an der Kangshung-Flanke über 2000 Meter tief nach Tibet ab. Die andere Seite stürzt über 1200 Meter tief zum Western Cwm hinunter. Gleich vor dem Abgrund, am Westrand des Sattels, waren die Zelte von Camp Vier aufgeschlagen, auf kargem, ödem Untergrund, inmitten von mehr als 1000 verbrauchten Sauerstoffbehältern. 27
    Falls es einen trostloseren, unwirtlicheren Ort auf diesem Planeten gibt, hoffe ich, ihn nie zu sehen.
    Wenn der Strahlstrom auf das Everest-Massiv trifft und durch die V-förmigen Umrisse des Südsattels gepreßt wird, nehmen die Winde eine unvorstellbare Geschwindigkeit an. Tatsächlich wehen auf dem Sattel manchmal stärkere Winde als auf dem Berggipfel. Anfang des Frühlings fegen fast ständig orkanstarke Böen hindurch, und so ist es nicht verwunderlich, daß es sich als nackte, kahle Fels- und Eislandschaft präsentiert, selbst wenn auf den angrenzenden Hängen tiefer Schnee liegt: Alles, was nicht an Ort und Stelle festgefroren ist, wird nach Tibet gefegt.
    Als ich auf Camp Vier eintraf, mühten sich sechs Sherpas in einem mit einhundert Stundenkilometern dahinfegenden Sturm damit ab, Halls Zelte aufzuschlagen. Da es ja auch um mein eigenes Refugium ging, legte ich mit Hand an und verankerte mein Zelt in ein paar weggeworfenen Sauerstoffbehältern, die ich zwischen den schwersten Felstrümmern einklemmte, die ich heben konnte. Dann tauchte ich nach innen ab, um auf meine Teamgefährten zu warten und mir die steinhart gefrorenen Hände zu wärmen.
    Das Wetter sollte sich im Laufe des Nachmittags noch verschlechtern. Lopsang Jangbu, Fischers Sirdar, traf ein, den Rücken unter einer Achtzig-Pfund-Last gekrümmt. Dreißig Pfund davon bestanden aus einem Satellitentelefon und dem elektronischen Zubehör: Sandy Pittman hatte die Absicht, von 7900 Metern Höhe Internetdepeschen um den Globus zu schicken. Der letzte meiner Teamkameraden traf erst um 16 Uhr 30 ein, und die letzten Nachzügler in Fischers

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