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In eisige Höhen

Titel: In eisige Höhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Krakauer
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lösten er und sein langjähriger Partner Peter Habeler ihr groß angekündigtes Versprechen ein und versetzten die internationale Klettergemeinschaft in Erstaunen: Am 8. Mai 1978 um Punkt 13 Uhr bestiegen sie über den Südsattel und die Südostgratroute ohne zusätzlichen Sauerstoff den Gipfel. Dies wurde in manchen Bergsteigerkreisen als die erste wahre Besteigung des Everest gefeiert.
    Messners und Habelers historische Tat wurde jedoch nicht in allen Lagern mit Hosianna begrüßt, insbesondere nicht bei den Sherpas. Die meisten von ihnen weigerten sich einfach zu glauben, daß Westler zu einer solchen Leistung fähig seien, die selbst dem stärksten Sherpa nicht gelingen wollte. Es wurde heftig darüber spekuliert, ob Messner und Habeier sich nicht aus in ihren Kleidern versteckten Mini-Zylindern Sauerstoff zugeführt hatten. Tenzing Norgay und andere angesehene
    Sherpas unterzeichneten eine Petition, in der die Regierung Nepals aufgefordert wurde, über die angebliche Besteigung eine offizielle Untersuchung in Gang zu setzen.
    Aber die Beweise, die die sauerstofflose Besteigung belegten, waren eindeutig. Überdies brachte Messner zwei Jahre später alle Zweifler zum Schweigen, indem er über die tibetanische Seite des Everest kletterte und den Berg ein weiteres Mal ohne Sauerstoff-Flaschen bestieg – dieses Mal ganz allein, ohne die Hilfe von Sherpas oder anderen. Als er am 20. August 1980 um 15 Uhr bei Schneefall und durch dichte Wolken den Gipfel erreichte, sagte Messner: »Es war ein ständiger Kampf gegen den Tod; noch nie in meinem Leben war ich so erschöpft.« In
Der Gläserne Horizont,
seinem Buch über die Besteigung, beschreibt er, wie er sich die letzten Meter zum Gipfel hochschleppt:
Wenn ich raste, ist es wie Ohnmacht, nur daß die Kehle brennt, wenn ich Luft hole ...Ich kann kaum noch. Keine Verzweiflung, kein Glück, keine Angst. Ich habe die Herrschaft über meine Gefühle nicht verloren, es gibt überhaupt keine Gefühle mehr. Ich bestehe nur noch aus Willen. Nach jeweils wenigen Metern ist auch dieser in mir abgestorben, in einer unendlichen Müdigkeit erstickt. Dann denke ich an nichts, fühle ich nichts. Ich lasse mich fallen, liege nur da. Für eine unbestimmte Zeitspanne bleibe ich völlig willenlos. Dann erst mache ich wieder einige Schritte.
    Bei Messners Rückkehr in die Zivilisation wurde seine Besteigung überall als die größte Bergsteigertat aller Zeiten gerühmt.
    Nachdem Messner und Habeler nun bewiesen hatten, daß der Everest ohne zusätzlichen Sauerstoff bestiegen werden konnte, stimmte eine Kerntruppe ambitionierter Bergsteiger darin überein, daß er ohne Flaschenluft bestiegen werden
sollte.
Wer also den Ehrgeiz hatte, zur himalajischen Elite zu gehören, ging Sauerstoff-Flaschen besser aus dem Weg. 1996 hatten bereits 60 Männer und Frauen ohne Flaschensauerstoff den Gipfel erreicht – von denen fünf nicht mehr lebend herunterkamen.
    Auch wenn vielleicht der eine oder andere in Halls Team noch so grandiose Kletterträume gehegt haben mochte, zog keiner von uns jemals in Erwägung, ohne Sauerstoff-Flaschen nach dem Gipfel des Everest zu greifen. Selbst Mike Groom, der den Everest vor drei Jahren ohne Kompressionsluft bestiegen hatte, erklärte mir, daß er sie dieses Mal durchaus benutzen wolle, da er als Führer arbeite. Aus Erfahrung wußte er, daß er ohne zusätzlichen Sauerstoff geistig wie körperlich stark beeinträchtigt wäre und kaum noch in der Lage wäre, seinen Job zu erledigen. Wie die meisten Everest-Veteranen war Groom der Auffassung, daß es für einen Solo-Kletterer durchaus in Ordnung war – und vom ästhetischen Standpunkt aus natürlich vorzuziehen-, es ohne Sauerstoff-Flaschen zu versuchen. Als Bergführer jedoch war es unverantwortlich.
    Das von Hall benutzte, dem neuesten Stand der Technik entsprechende Sauerstoffsystem russischer Bauart bestand aus einer Hartplastikmaske von der Art, wie sie von MiG-Kampfflugpiloten im Vietnam-Krieg getragen wurden. Die Maske war durch einen Gummischlauch und einem einfachen Regler mit einem orangefarbenen Kompressionsluftbehälter aus Stahl und Kevlar verbunden. (Kleiner und viel leichter als Tauchersauerstoff-Flaschen, wog jeder Behälter im gefüllten Zustand drei Kilo.) Obwohl wir während unseres letzten Aufenthalts auf Camp Zwei ohne Flaschensauerstoff geschlafen hatten, bat Rob uns eindringlich darum, es diesmal, da wir zum Gipfel unterwegs waren, sehr wohl zu tun. »Mit jeder Minute, die ihr in dieser

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