In eisige Höhen
bin dann zu ihm aufgerückt, und da meinte er, daß ihm kalt ist und daß er sich schlecht fühlt und jetzt umkehrt.« Dann schloß Rob, der die Nachzügler hochbrachte, zu Doug auf und unterhielt sich kurz mit ihm. Niemand bekam von dem Gespräch etwas mit, von daher bleibt der Inhalt reine Spekulation. Aber jedenfalls lief es darauf hinaus, daß Doug sich wieder einreihte und den Anstieg fortsetzte.
Am Tag vor unserem Aufbruch vom Basislager hatte Rob das gesamte Team im Speisezelt antreten lassen und uns einen Vortrag darüber gehalten, wie wichtig es sei, am Gipfeltag seinen Anordnungen Folge zu leisten. »Ich werde dort oben keinen Widerspruch dulden«, sagte er energisch und blickte mich dabei bewußt an. »Mein Wort ist absolutes Gesetz, jenseits jeden Einspruchs. Falls euch eine bestimmte Entscheidung, die ich treffe, nicht gefällt, können wir uns nachher gerne zusammensetzen und darüber diskutieren, aber nicht oben auf dem Berg.«
Anlaß zu einem möglichen Konflikt bot vor allem die Wahrscheinlichkeit, daß Rob uns kurz vor dem Gipfel umkehren lassen würde. Aber da gab es noch etwas, das ihm ernsthaft Kopfzerbrechen bereitete. Während der letzten Phasen der Akklimatisierung hatte er die Zügel etwas schleifen lassen und uns erlaubt, in unserem eigenen Tempo zu klettern – so ließ Hall mich manchmal dem Haupttroß zwei Stunden oder mehr vorausgehen. Aber nun betonte er, daß er uns auf der ersten Hälfte des Gipfeltags nahe beieinander klettern sehen wollte. »Bis wir die Spitze des Südostgrats erreichen«, erklärte er und bezog sich damit auf eine deutlich vorspringende Felskante bei 8400 Metern, die als der »Balkon« bekannt ist, »bleiben bitte alle in Abständen von höchstens 100 Metern beieinander. Dies ist mir sehr wichtig. Wir werden bei Dunkelheit klettern, und ich will, daß die Bergführer immer wissen, wo ihr seid.«
Als wir also in den tiefen Nachtstunden des 10. Mai unseren Weg nach oben bahnten, waren jene an der Spitze des Zuges ständig dazu gezwungen, anzuhalten und in der frostklirren
den Kälte darauf zu warten, daß auch die langsamsten der Gruppe aufgeholt hatten. Einmal saß ich mit Mike Groom und Sirdar Ang Dorje geschlagene fünfundvierzig Minuten auf schneebedecktem Felsgesims. Am ganzen Leib zitternd, schlugen wir uns die Hände an unserem Körper warm und traten von einem Bein aufs andere, um keine Erfrierungserscheinungen aufkommen zu lassen. Dabei war die vergeudete Zeit noch viel schwerer zu ertragen als die Kälte.
Um 3 Uhr 45 verkündete Mike, daß wir zu weit voraus waren und ein weiteres Mal anhalten und warten mußten. Ich drückte mich eng an eine Felsnase aus Schiefer, um dem eisigen Wind zu entkommen, der nun aus Westen wehte, blickte den Steilhang hinunter und versuchte die Bergsteiger zu identifizieren, die sich im Mondlicht langsam auf uns zuschoben. Einige Mitglieder aus Fischers Troß hatten bereits zu unserer Gruppe aufgeschlossen: Halls Team, das Mountain-Madness-Team und die Taiwanesen waren nun zu einer endlosen, von verschieden langen Abständen unterbrochenen Schlange verwachsen. Plötzlich erblickte ich etwas Seltsames.
Zwanzig Meter unter mir war eine große Gestalt in einem leuchtendgelben Daunenanzug durch ein etwa ein Meter langes Seil mit dem Rücken eines viel kleineren Sherpas verbunden. Der Sherpa, der keine Sauerstoffmaske trug, war unter hörbarem Schnaufen allem Anschein nach dabei, seinen Partner den Hang hochzuhieven, so wie ein Pferd einen Pflug hinter sich herzieht. Das seltsame Paar überholte einige andere und kam gut voran, aber das Arrangement – eine Technik, um schwächeren oder verletzten Bergsteigern zu helfen, Short-Roping genannt – wirkte gefährlich und extrem unbequem für beide Beteiligten. Nach und nach konnte ich erkennen, daß es sich bei dem Sherpa um Fischers schillernden Sirdar Lopsang Jangbu handelte und bei dem Kletterer in Gelb um Sandy Pittman.
Der Bergführer Neal Beidleman, der das Manöver ebenfalls beobachtete, erinnert sich: »Als ich hochkam, stützte sich Lopsang am Hang ab. Er klebte wie eine Spinne am Fels und zog Sandy an einem kurzen Strick hinter sich her. Es wirkte unbeholfen und ziemlich gefährlich. Ich wußte nicht genau, was ich davon halten sollte.«
Um ungefähr Viertel nach vier gab Mike uns grünes Licht, weiterzuklettern, und Ang Dorje und ich legten ein höllisches Tempo vor, um uns aufzuwärmen. Als der erste Anflug von Morgengrauen den östlichen Horizont erhellte, ging das
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