In eisige Höhen
Gruppe kamen sogar noch später an, während bereits ein schwerer Sturm tobte. Als es dunkel wurde, kehrten die Montenegriner auf den Sattel zurück und vermeldeten, daß der Gipfel nicht zu schaffen gewesen war: unterhalb der Hillary-Stufe waren sie umgekehrt.
Das Wetter und der Mißerfolg der Montenegriner verhießen nichts Gutes für unseren eigenen Gipfelangriff – in weniger als sechs Stunden sollte es losgehen. Jeder zog sich gleich nach der Ankunft auf dem Sattel ins Nylonkabuff zurück und tat sein Bestes, ein Nickerchen zu halten. Aber bei dem Maschinengewehrrattern der flatternden Zelte und dem ganzen Bammel vor dem, was uns da bevorstand, war für die meisten von uns an Schlaf nicht einmal zu denken.
Stuart Hutchison, der junge kanadische Kardiologe, und ich bekamen zusammen ein Zelt zugewiesen; Rob, Frank, Mike Groom, John Taske und Yasuko Namba teilten sich ein anderes; Lou, Beck Weathers, Andy Harris und Doug Hansen belegten ein drittes. Lou und seine Zeltkameraden dösten gerade ein wenig vor sich hin, als sie plötzlich von draußen im Sturm eine fremde Stimme rufen hörten: »Laßt ihn sofort rein oder er stirbt hier draußen!« Lou öffnete den Reißverschluß des Zelteingangs, und einen Moment später fiel ihm ein bärtiger Typ mit dem Gesicht nach oben in den Schoß. Es war Bruce Herrod, der nette siebenunddreißigjährige stellvertretende Leiter des südafrikanischen Teams und das einzig noch verbliebene Mitglied jener Expedition, das echte Bergsteigererfahrung aufzuweisen hatte.
»Bruce war schlimm dran«, erinnert sich Lou. »Er zitterte völlig unkontrolliert und war irgendwie ganz eigenartig und irrational, im Grunde völlig hilflos. Er war dermaßen unterkühlt, daß er kaum noch sprechen konnte. Der Rest seiner Gruppe befand sich offensichtlich irgendwo auf dem Sattel oder unterwegs zum Sattel. Er wußte jedoch nicht, wo genau, und er hatte keinen blassen Schimmer, wie er sein eigenes Zelt finden sollte. Wir haben ihm also zu trinken gegeben und unser Bestes getan, um ihn aufzuwärmen.«
Um Doug war es ebenfalls nicht gut bestellt. »Doug hat nicht gut ausgeschaut«, weiß Beck noch. »Er hat darüber geklagt, daß er seit Tagen kein Auge zugetan und nichts gegessen hat. Aber er war entschlossen, sich seine Montur anzuschnallen und zu klettern, wenn's losgehen sollte. Ich hab mir Sorgen gemacht, weil ich Doug zu dem Zeitpunkt schon ganz gut kennengelernt hatte, und irgendwann ist mir aufgegangen, daß er sich das gesamte letzte Jahr mit der Tatsache herumgeschlagen hat, daß er bis auf 100 Meter an den Gipfel herangekommen war und umkehren mußte. Und wirklich, es hat jeden einzelnen Tag an ihm genagt. Es war ziemlich klar, daß er sich die Gelegenheit nicht ein zweites Mal entgehen lassen würde. Solange Doug noch atmen konnte, würde er zum Gipfel klettern.«
In jener Nacht lagerten mehr als 50 Leute auf dem Sattel, die sich in dicht nebeneinander aufgereihten Zelten aneinanderkauerten. Und doch lag ein seltsames Gefühl der Isolation in der Luft. Durch den heulenden Wind war es völlig unmöglich, von Zelt zu Zelt miteinander zu kommunizieren. Ich fühlte mich an diesem gottverlassenen Ort von den Bergsteigern um mich herum in einem Ausmaß isoliert – gefühlsmäßig, geistig und rein körperlich-, wie ich es bisher auf noch keiner Expedition erlebt hatte. Ein Team waren wir nur auf dem Papier, wie ich traurig feststellte. Obwohl wir in wenigen Stunden das Lager als Gruppe verlassen würden, würde letztlich jeder für sich klettern, weder durch ein Seil miteinander verbunden noch durch irgendein inneres Band der Loyalität. Jeder Kunde kochte sein eigenes Süppchen. Ich selber war auch nicht anders: Zum Beispiel hoffte ich aufrichtig, daß Doug es bis zum Gipfel schaffte. Aber wenn er umkehrte, würde ich alle Kräfte aufbieten und weiter nach vorne stoßen.
In einem anderen Zusammenhang hätte mich diese Einsicht vielleicht deprimiert, aber ich war mit meinen Gedanken viel zu sehr mit dem Wetter beschäftigt, um mich lange damit aufzuhalten. Wenn der Wind sich nicht legte – und zwar bald –, konnten wir uns alle den Gipfel aus dem Kopf schlagen. Halls Sherpas hatten während der vergangenen Woche ein 55 Behälter umfassendes, 165 Kilo schweres Sauerstofflager auf dem Sattel angelegt. Auch wenn dies auf den ersten Blick sehr viel zu sein scheint, reichte es bei einer Gruppe von drei Bergführern, acht Kunden und vier Sherpas doch nur für einen einzigen Versuch. Und die Uhr
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