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In eisige Höhen

Titel: In eisige Höhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Krakauer
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Entscheidung, Pittman ans Kurzseil zu nehmen, Kritik und verblüffte Reaktionen hervor. »Ich habe null Ahnung, warum Lopsang Sandy ans Kurzseil genommen hat«, sagt Beidleman. »Er hat völlig die Übersicht verloren über das, was von ihm dort oben erwartet wurde, was seine eigentlichen Aufgaben waren.«
    Pittman ihrerseits hatte nicht darum gebeten, ans Kurzseil genommen zu werden. Als sie Camp Vier an der Spitze von Fischers Troß verließ, zog Lopsang sie plötzlich beiseite und band das Ende eines Seils vorne an ihrem Gurtwerk fest. Dann hakte er, ohne sie zu fragen, das andere Ende an seinem eigenen Gurtwerk fest und fing an zu ziehen. Sie behauptet, daß Lopsang sie völlig gegen ihren Willen den Hang hochgeschleppt habe.
    Was an der eigentlichen Frage vorbeigeht: Sie war eine notorisch ruppige New Yorkerin (sie konnte dermaßen hartnäckig sein, daß einige Neuseeländer im Basislager ihr den Spitznamen »Sandy Pit Bull« verpaßten), warum also machte sie sich nicht einfach von Lopsang und dem einen Meter langen Seil, das sie beide verband, los? Sie hätte nur den Arm ausstrecken und einen einzigen Karabinerhaken lösen müssen.
    Pittman erklärt das damit, daß sie sich aus Respekt vor der Autorität der Sherpas – wie sie sich ausdrückte – nicht losgehakt habe. »Ich wollte Lopsangs Gefühle nicht verletzen.« Sie sagte ebenfalls, daß sie zwar nicht auf die Uhr geschaut habe, aber ihrer Erinnerung nach nur »eine oder anderthalb Stunden« lang von Lopsang ans Kurzseil genommen worden sei 31 und nicht fünf oder sechs Stunden, wie von mehreren anderen Bergsteigern beobachtet und von Lopsang bestätigt wurde.
    Lopsang wiederum hatte höchst Widersprüchliches zu berichten auf die Frage, warum er Pittman, für die er mehrmals offen seine Verachtung ausgedrückt hatte, ans Kurzseil nahm. Dem in Seattle ansässigen Anwalt Peter Goldman – der 1995 zusammen mit Fischer und Lopsang den Broad Peak bestiegen hatte und einer von Fischers ältesten und besten Freunden war – sagte er, daß er Pittman in der Dunkelheit mit der dänischen Bergsteigerin Lene Gammelgaard verwechselt habe und daß er gleich nachdem er im ersten Morgenlicht seinen Irrtum bemerkt habe, aufgehört habe, sie hinter sich herzuschleppen. In einem längeren, auf Band aufgenommenen Interview mit mir beteuerte Lopsang jedoch recht glaubhaft, daß er die ganze Zeit gewußt habe, daß er Pittman am Seil hatte und daß er sich deshalb dazu entschieden hatte, »weil Scott will, daß alle Teilnehmer Gipfel erreichen, und ich denke, Sandy ist schwächste, ich denke, sie ist langsam, also ich nehme sie zuerst«.
    Lopsang, ein scharfsinniger junger Mann, war Fischer zutiefst ergeben. Der Sherpa hatte nur zu gut verstanden, wie wichtig es für seinen Freund und Arbeitgeber war, Pittman auf den Gipfel zu hieven. Und tatsächlich, in einem der letzten Gespräche, die er mit Jane Bromet vom Basislager aus führte, sinnierte er: »Wenn ich Sandy auf den Gipfel kriege, gehe ich jede Wette ein, daß sie damit zu Talk-Shows im Fernsehen eingeladen wird. Meinst du, sie wird mich in ihre großen Ruhmesreden mit einschließen?«
    Wie Goldman erklärte: »Lopsang war Scott treu ergeben. Für mich ist es unvorstellbar, daß er irgend jemanden ans Kurzseil nimmt, wenn er nicht fest davon überzeugt ist, daß Scott dies will.«
    Was auch immer Lopsangs Beweggründe waren, seine Entscheidung, eine Klientin ans Seil zu nehmen, schien damals kein besonders schwerwiegender Fehler zu sein. Aber so führte eins zum anderen – ein langsames Auflaufen kleinerer Vorfälle, die sich unmerklich, aber stetig zu einer kritischen Masse verbanden.
     

KAPITEL DREIZEHN
    Südostgrat
10. Mai 1996
8.400 Meter

Es
reicht wohl, wenn ich sage, daß der [Everest] die steilsten Bergkämme und furchterregendsten Steilhänge besitzt, die ich je gesehen habe, und daß all das Gerede von einem leichten Schneehügel ein Märchen ist...
    Liebling, dies ist eine ganz und gar fesselnde Aufgabe, ich kann Dir gar nicht sagen, wie sehr sie von mir Besitz ergriffen hat und wie vielversprechend sie ist. Und die Schönheit von alledem!
    GEORGE LEIGH MALLORY,
    In einem Brief an seine Frau,
    28. Juni 1921
     
    Oberhalb des Südsattels, in der sogenannten Todeszone, ist das Überleben vor allem ein Wettlauf mit der Uhr. Beim Aufbruch von Camp Vier am 10. Mai trugen sämtliche Kunden je zwei drei Kilo schwere Sauerstoff-Flaschen mit sich; eine dritte würden wir uns später an einem kleinen, von

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