In eisige Höhen
herumstanden. »Und ich hab mein Wort gehalten. Und deshalb steh ich hier noch immer.«
Kurz nach Mittag waren Stuart Hutchison, John Taske und Lou Kasischke, begleitet von Lhakpa und Kami, auf ihrem Weg nach unten vorbeigekommen. Aber Beck Weathers entschied sich dafür, nicht mit ihnen runterzugehen. »Das Wetter sah immer noch gut aus«, erklärte er, »und ich habe zu dem Zeitpunkt keinen Grund gesehen, mein Versprechen Rob gegenüber zu brechen.«
Jetzt jedoch wurde es dunkel und das Wetter erbarmungslos. »Dann geh doch mit mir runter«, bat ich ihn eindringlich. »Rob wird hier in den nächsten zwei, drei Stunden nicht auftauchen. Ich bin dein Auge. Ich bringe dich nach unten, kein Problem.« Beck war drauf und dran, ja zu sagen und mit mir runterzugehen; doch dann machte ich den Fehler zu erwähnen, daß Mike Groom sich mit Yasuko auf den Weg nach unten gemacht hatte und sich nur ein paar Minuten hinter mir befand. An einem Tag voller Fehler sollte sich der letztere noch als einer der gewichtigeren herausstellen.
»Danke jedenfalls«, sagte Beck. »Ich glaube, ich werde auf Mike warten. Er hat ein Seil. Er kann mich dann ja ans Kurzseil nehmen.«
»O.K., Beck«, antwortete ich. »Es ist deine Entscheidung. Dann geh ich davon aus, daß wir uns im Camp sehen. Bis dann.« Insgeheim war ich erleichtert, daß ich drum rumgekommen war, Beck die schwierigen Hänge, von denen die meisten nicht mit Seilen gesichert waren, hinunterzuhieven. Das Tageslicht wurde immer schwächer, das Wetter immer schlechter, und meine Kraftreserven waren so gut wie verbraucht. Dennoch hatte ich nicht im geringsten das Gefühl, daß eine Katastrophe drohte. Ich nahm mir sogar nach dem Gespräch mit Beck noch die Zeit, den leeren Sauerstoffbehälter zu suchen, den ich beim Anstieg vor zehn Stunden im Schnee beiseite gelegt hatte. Entschlossen, meinen Müll wieder mit hinunterzunehmen, stopfte ich ihn zu den beiden anderen Flaschen in den Rucksack (eine leer, eine halbvoll) und eilte weiter zum Südsattel hinunter, der etwa 500 Meter unter mir lag.
Vom Balkon aus konnte ich ein paar hundert Meter an einer breiten, sanft abfallenden Schneerinne hinabsteigen, die recht einfach zu nehmen war. Aber dann wurde es kompliziert. Die Route schlängelte sich durch Felsvorsprünge aus gebrochenem Schiefer, die von einer fünfzehn Zentimeter dicken Schneeschicht bedeckt waren. Um dieses verwirrende, bröckelige Terrain heil zu überstehen, durfte ich keine Sekunde in meiner Konzentration nachlassen, ein Kunststück, das bei meiner Tranduseligkeit praktisch nicht zu schaffen war.
Da der Wind die Spuren der Kletterer, die vor mir hinuntergegangen waren, verweht hatte, hatte ich Mühe, die korrekte Route ausfindig zu machen. 1993 war in dieser Gegend Mike Grooms Partner – Lopsang Tshering Bhutia, ein ausgezeichneter Himalaja-Kletterer und Neffe Tenzing Norgays – falsch abgebogen und in den Tod gestürzt. Mit aller Macht kämpfte ich gegen meinen Tran an und begann, laut auf mich einzureden. »Reiß dich zusammen, reiß dich zusammen, reiß dich zusammen«, sang ich mir immer wieder gebetsmühlenartig vor. »Bau hier bloß keinen Scheiß. Hier geht's um alles. Reiß dich zusammen.«
Um mich ein wenig auszuruhen, setzte ich mich auf eine breite abfallende Felskante. Nach ein paar Minuten jedoch riß mich ein ohrenbetäubendes BUM! wieder auf die Beine. Mittlerweile hatten sich riesige Mengen an Neuschnee angesammelt, und ich befürchtete, daß auf den oberen Hängen eine gewaltige Schlaglawine abgegangen war. Ich wirbelte herum, sah aber nichts. Dann ein weiteres Mal –BUM!, begleitet von einem Blitz, der für einen kurzen Moment den Himmel erleuchtete, und da war mir endlich klar, daß ich gerade ein donnerndes Gewitter hörte.
Am Morgen, auf dem Weg nach oben, hatte ich mich ständig dazu angehalten, mir die Route auf diesem Abschnitt des Berges genau anzusehen. Immer wieder hatte ich nach unten geblickt, um mir ein paar Orientierungspunkte zu merken, die mir beim Abstieg vielleicht helfen konnten. Wie unter einem inneren Zwang hatte ich mir so das gesamte Terrain eingeprägt. »Behalt diesen einen Felsvorsprung im Kopf, der wie ein Schiffsbug aussieht; an dem mußt du links abbiegen. Dann folgst du dieser dünnen Schneelinie, bis sie scharf nach rechts schwenkt.« Ich hatte mir dies vor vielen Jahren antrainiert, und jedesmal, wenn ich einen Berg bestieg, zwang ich mich zu diesem Drill. Auf dem Everest hat er mir vielleicht das Leben
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