In eisige Höhen
Schieferfels, steckte sie in die Reißverschlußtasche meines Daunenanzugs und eilte den Berggrat hinunter.
Kurz zuvor hatte ich die Wolkenfetzen bemerkt, die nun das Tal nach Süden hin bedeckten und nur die höchsten Gipfel frei ließen. Adams, ein kleiner streitbarer Texaner, der es als Aktienverkäufer während des Booms in den Achtzigern zu Geld gebracht hatte, ist ein erfahrener Flugzeugpilot. Er hatte viele Stunden damit verbracht, auf die Oberseite von Wolkenformationen hinabzublicken; später sagte er mir, daß er diese harmlos wirkenden Bäuschchen aus Wasserdunst auf den ersten Blick als die Kronen wuchtiger Haufenwolken identifiziert hatte. »Wenn du im Flugzeug sitzt und eine Haufenwolke siehst«, erklärte er, »dann sagst du dir nur noch eins: bloß weg hier. Und das habe ich dann auch getan.«
Aber anders als Adams war ich es nicht gewohnt, aus 8800 Metern auf Kumulonimbusfelder (Haufenwolkenfelder) hinabzuspähen. Ich bemerkte das Gewitter schlicht und einfach nicht, das bereits zu jenem Zeitpunkt heraufzog. Meine Gedanken kreisten vielmehr um meinen schwindenden Sauerstoffvorrat.
Fünfzehn Minuten nachdem ich den Gipfel verlassen hatte, kam ich oben auf der Hillary-Stufe an. Ein Pulk von acht Kletterern rackerte sich keuchend am einzig vorhandenen Seilstrang hoch, und mit meinem Abstieg war es erst mal Essig. Während ich darauf wartete, daß die Leute vorbeizogen, schloß Andy auf seinem Weg nach unten zu mir auf. »Jon«, fragte er, »ich krieg irgendwie nicht genug Luft. Kannst du vielleicht mal schauen, ob das Einsaugventil meiner Maske vereist ist?«
Ich sah mir die Sache kurz an und entdeckte gleich einen faustgroßen Klumpen gefrorenen Speichels, der das Gummiventil blockierte, über das die umgebende Luft von außen in die Maske gelangte. Ich hackte ihn mit der Spitze meines Eispickels heraus und bat Andy dann, mir seinerseits den Gefallen zu tun, meinen Regler zu schließen. Die Felsstufe war immer noch nicht frei, und ich wollte Sauerstoff sparen. Anstatt das Ventil zu schließen, drehte er es jedoch irrtümlicherweise voll auf, und zehn Minuten später war mein gesamter Sauerstoff futsch. Mit meinen kognitiven Fähigkeiten, von denen ohnehin nicht mehr
viel übrig war, ging es rapide bergab. Ich fühlte mich wie jemand, dem man eine Überdosis Schlaftabletten untergemischt hatte.
Ich wartete weiter und kann mich noch verschwommen daran erinnern, wie Sandy Pittman in Richtung Gipfel vorbeikletterte, nach einer unbestimmten Zeit gefolgt von Charlotte Fox und Lopsang. Als nächstes tauchte Yasuko auf. Ich befand mich gefährlich nah am Felsrand, und sie war gleich unterhalb von mir und kraxelte völlig kopflos auf dem letzten und steilsten Abschnitt der Felsstufe herum. Hilflos sah ich ihr fünfzehn Minuten lang zu, wie sie völlig erschöpft versuchte, sich über den obersten Felsvorsprung zu hieven. Schließlich schob Tim Madsen, der schon ungeduldig hinter ihr wartete, die Hände unter ihren Po und schob sie nach oben.
Bald darauf tauchte Rob Hall auf. Ich erzählte ihm nichts von der Panik, die langsam, aber sicher in mir aufstieg, und dankte ihm dafür, daß er mich auf den Gipfel des Everest gebracht hatte. »Ja, ist 'ne ziemlich gute Expedition geworden«, antwortete er, meinte dann aber, daß Frank Fischbeck, Beck Weathers, Lou Kasischke, Stuart Hutchison und John Taske alle umgekehrt waren. Selbst in meinem sauerstofflosen Schwachsinn war mir sofort klar, daß Hall tief enttäuscht sein mußte, daß fünf seiner acht Kunden das Handtuch geworfen hatten. Die Tatsache, daß anscheinend Fischers gesamte Truppe sich gen Gipfel kämpfte, machte vermutlich alles nur noch schlimmer. »Ich wünschte nur, wir hätten ein paar mehr Kunden auf den Gipfel gekriegt«, klagte Rob, bevor er weiterzog.
Bald danach kamen Adams und Boukreev auf ihrem Weg nach unten an und blieben oberhalb von mir stehen, um darauf zu warten, daß sich der Stau auflöste. Kurz darauf, als Makalu Gau, Ang Dorje und mehrere andere Sherpas, gefolgt von Scott Fischer und Doug Hansen, das Seil hochgeklettert kamen, verstärkte sich das Gedränge oben auf der Stufe weiter. Schließlich war der Weg frei – aber erst nachdem ich mehr als eine Stunde bei 8 800 Metern ohne zusätzlichen Sauerstoff verbracht hatte.
Inzwischen schienen ganze Bereiche meiner Hirnrinde ihren Geist aufgegeben zu haben. Ich war wie in Trance, und in meiner Angst, in Ohnmacht zu fallen, sehnte ich mich nur noch verzweifelt danach, den
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