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In eisige Höhen

Titel: In eisige Höhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Krakauer
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gerettet. Um 18 Uhr, als das Gewitter sich zu einem wütenden Blizzard mit Schneetreiben und Winden über 100 Stundenkilometern ausgewachsen hatte, stieß ich auf das Seil, das von den Montenegrinern auf dem Schneehang zweihundert Meter oberhalb des Südsattels angebracht worden war. Mein Tran war durch das heraufziehende Unwetter wie weggeblasen, und mir wurde klar, daß ich den tückischsten Abschnitt der Route gerade noch rechtzeitig geschafft hatte.
    Ich wickelte mir das Seil um die Arme und ließ mich durch den tobenden Blizzard daran hinab. Ein paar Minuten später stand ich wieder kurz vorm Ersticken, ein mir nur allzu bekanntes Gefühl, und ich merkte, daß mir wieder der Sauerstoff ausgegangen war. Als ich vor drei Stunden meinen dritten und letzten Behälter an den Regler angeschlossen hatte, hatte ich anhand des Anzeigers festgestellt, daß die Flasche nur halb voll war. Ich ging jedoch davon aus, daß ich damit den größten Teil der Strecke schaffen würde, und machte mir deshalb nicht die Mühe, sie gegen eine volle auszutauschen. Und jetzt war das Ding leer.
    Ich zog meine Maske ab, ließ sie am Hals baumeln und seilte mich mit einer Gelassenheit weiter ab, die mich selbst überraschte. Und dennoch, ohne Flaschensauerstoff war ich träger und langsamer in meinen Bewegungen, und ich mußte öfter anhalten, um mich auszuruhen.
    Die Literatur zum Everest ist voll von Berichten über halluzinatorische Erlebnisse, die auf Sauerstoffmangel und Erschöpfung zurückzuführen sind. 1933 beobachtete der bekannte englische Bergsteiger Frank Smythe »zwei seltsam aussehende Objekte, die im Himmel dahintrieben«, direkt über sich, bei 8250 Metern: »[Das eine] war mit etwas versehen, das wie ein kompaktes, unterentwickeltes Flügelpaar aussah, und das andere mit der Andeutung eines vorstehenden Schnabels. Sie schwebten regungslos in der Luft, schienen aber von einem langsamen Pulsieren durchzuckt.« Messner hatte während seiner Alleinbesteigung von 1980 Phantasien von einem unsichtbaren Gefährten, der neben ihm her kletterte. Allmählich bekam ich das Gefühl, daß mein Verstand mich in ähnlicher Weise im Stich ließ, und mit einer Mischung aus Faszination und Schrekken sah ich mit an, wie mein eigenes Ich aus der Realität rutschte.
    Ich war weit jenseits gewöhnlicher Erschöpfung, und plötzlich passierte es, daß mein eigener Körper wie losgelöst von mir war, so als würde ich meinen Abstieg von ein paar Metern weiter oben beobachten. Ich bildete mir ein, daß ich eine grüne Strickjacke und Flügelspitzen trug. Und obwohl der Sturm eine Windkälte von weit über 50 Grad minus produzierte, war mir merkwürdig, beunruhigend warm.
    Um 18 Uhr 30, als das letzte Tageslicht aus dem Himmel sickerte, kam ich bis auf knapp 70 Höhenmeter an Camp Vier heran. Zwischen mir und dem sicheren Schutz befand sich jetzt nur noch ein Hindernis: ein bauchig hervortretender Hang aus hartem, spiegelglattem Eis, an dem ich ohne Seil runter mußte. Schneeflocken, die von Winden über 130 Stundenkilometern herbeigeweht wurden, stachen wie Nadeln ins Gesicht. Jede ungeschützte Stelle am Körper erlitt augenblicklich Erfrierungen. Die Zelte, die nicht weiter als 200 Meter entfernt lagen, waren in dem Schneegestöber stets nur kurze Augenblicke zu erkennen. Es gab keinen Spielraum für Fehler. Aus Angst, mir irgendeinen folgenschweren Schnitzer zu leisten, setzte ich mich hin. Bevor ich den Abstieg begann, wollte ich noch einmal richtig auftanken.
    Einmal von den Beinen, überkam mich lähmende Trägheit. Es war ja so viel leichter, dazusitzen und sich auszuruhen, als sich endlich diesem gefährlichen Abhang zu stellen. Während der Sturm mir also um die Ohren pfiff, hockte ich einfach nur da, ließ meine Gedanken schweifen und blieb so vielleicht eine Dreiviertelstunde lang.
    Ich hatte die Schnüre meiner Kapuze zugezogen, die jetzt nur noch ein kleines Guckloch für die Augen frei ließ, und ich war gerade dabei, die nutzlose, zugefrorene Sauerstoffmaske unter meinem Kinn abzunehmen, als Andy Harris plötzlich aus der Düsternis neben mir auftauchte. Ich leuchtete ihn mit meiner Stirnlampe an und zuckte vor Schreck zusammen, als ich sein entstelltes Gesicht sah. Seine Wangen waren mit einem regelrechten Panzer aus Eis und Reif überzogen, ein Auge war zugefroren, und er sprach nur noch ganz undeutlich. Er sah schlimm aus. »Wo geht's zu den Zelten?« platzte es aus ihm heraus. Er suchte verzweifelt nach einem schützenden

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