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In eisige Höhen

Titel: In eisige Höhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Krakauer
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Fuße der Felsstufen am Südostgrat legte ich mit Mike eine Pause ein, um auf Yasuko zu warten, der die Kletterarbeit an den Fixseilen immer größere Mühe bereitete. Mike versuchte Rob über Funk zu erreichen, aber sein Gerät funktionierte nur mit Unterbrechungen, und er erreichte niemanden. Da Mike auf Yasuko aufpaßte und Rob und Andy Doug Hansen begleiteten – dem einzigen anderen Kunden, der sich noch über uns befand –, dachte ich, die Situation sei unter Kontrolle. Als Yasuko zu uns aufschloß, bat ich Mike um die Erlaubnis, meinen Weg allein fortzusetzen. »Okay«, antwortete er. »Aber paß auf, daß du nicht von irgendeinem Felsvorsprung trittst.«
    Gegen 16 Uhr 45, als ich den Balkon erreichte – dem mit 8400 Metern höchsten Punkt des Südostgrats, auf dem ich zusammen mit Ang Dorje den Sonnenaufgang betrachtet hatte-, bekam ich zunächst einmal einen Schreck, denn ich stieß auf Beck Weathers, der zitternd und total verloren im Schnee dastand. Ich war davon ausgegangen, daß er bereits vor Stunden nach Camp Vier hinabgestiegen sei. »Beck!« rief ich. »Was zum Teufel machst du denn noch hier oben?«
    Beck hatte sich vor ein paar Jahren einer Radialkeratomie 32 unterzogen. Ein Nebeneffekt des Eingriffs, wie er gleich zu Beginn der Everest-Besteigung entdecken mußte, war, daß der in großen Höhenlagen herrschende niedrige Luftdruck ihn fast blind machte. Je höher er kletterte, desto niedriger die Luftdruckverhältnisse und desto weniger konnte er sehen.
    Später gestand er mir, daß, als er am Nachmittag zuvor von Camp Drei auf Camp Vier stieg, »meine Sehkraft so eingeschränkt war, daß ich gerade noch einen Meter weit sehen konnte. Ich habe mich also an die Fersen von John Taske gehängt, und wenn er den Fuß gehoben hat, dann habe ich meinen genau in seinen Abdruck gesetzt.«
    Beck hatte bereits vorher ganz offen von seinen Augenproblemen gesprochen, aber mit dem Gipfel in greifbarer Nähe war er verständlicherweise nicht allzu scharf darauf, Rob oder auch die anderen wissen zu lassen, daß es damit immer schlimmer wurde. Ungeachtet seiner schlechten Augen war er in guter Kletterform und fühlte sich so stark wie noch nie während der Expedition, und, wie er erklärte: »Ich wollte nicht vorzeitig abspringen.«
    Als er oberhalb des Südsattels durch die nächtliche Dunkelheit kletterte, hatte Beck, um mit der Gruppe Schritt halten zu können, die gleiche Strategie angewandt wie am Nachmittag zuvor – in die Fußabdrücke des Kletterers vor ihm zu treten. Als er jedoch den Balkon erreichte und die Sonne aufging, merkte er, daß sein Augenlicht ihn rapide verließ. Darüber hinaus hatte er sich versehentlich Eiskristalle in die Augen gerieben und sich an beiden Hornhäuten verletzt.
    »Als das dann auch noch passiert ist«, erzählt Beck, »war ein Auge total verschwommen. Und da ich ja mit dem anderen ohnehin kaum sehen konnte, habe ich praktisch null Tiefenwahrnehmung gehabt. Mir ist klargeworden, daß ich, wenn ich in dem Zustand weiterklettere, nur noch eine Gefahr für mich selbst bin oder einem anderen eine Last. Also habe ich Rob gesagt, was los ist.«
    »Tut mir leid, Kumpel«, beschied Rob ihm prompt, »du gehst nach unten. Ich werd dir ein paar Sherpas mitschicken.« Aber Beck sträubte sich noch, seine Hoffnungen auf den Gipfel aufzugeben. »Ich habe Rob erklärt, daß es gut möglich ist, daß meine Augen besser werden, wenn die Sonne ein bißchen höher steht und meine Pupillen sich zusammenziehen. Ich sagte ihm also, daß ich noch ein bißchen warten will und dann, wenn ich wieder besser sehen kann, einen Zwischenspurt einlege und schon wieder zu den anderen auf schließen werde.«
    Rob überlegte sich Becks Vorschlag und entschied dann: »O.K., na schön. Ich geb dir eine halbe Stunde, um's abzuchecken. Aber ich kann dich auf gar keinen Fall allein zu Camp Vier runtergehen lassen. Wenn deine Augen in 30 Minuten nicht besser sind, dann will ich, daß du hier bleibst, bis ich vom Gipfel zurück bin, damit ich genau weiß, wo du bist. Dann gehen wir zusammen runter. Ich meine das ganz ernst: Entweder du gehst jetzt runter, oder du versprichst mir, daß du genau an dieser Stelle auf mich wartest, bis ich zurück bin.«
    »Ich hab also die Hand gehoben und es hoch und heilig versprochen, obwohl ich bei dem Gedanken an das, was mir da bevorstand, am liebsten gestorben wäre«, sagte Beck mir mit herzensguter Miene, während wir da so im Schneetreiben und schwindendem Licht

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