In eisigen Kerkern (German Edition)
allerbestens.
„Was immer du da treibst, du bringst mich nicht dazu, den Verschluss zu öffnen.“
Die gedämpfte Stimme klang etwas nervös. Nelli gewann dadurch an Sicherheit.
„Wetten, dass doch?“
Sie lehnte den größeren Teil des Bretterzaunes an den Eisblock, der den Ausgang versperrte, und verdeckte damit Andis Sicht zu ihr nach drinnen.
„Was ist das?“, schrie er.
Nelli war schon im Diorama, holte die restlichen Bretter und lehnte sie ebenso schräg gegen die Eiswand wie den anderen Teil. Nun irgendein Werkzeug – sie entschied sich für eine der Schaufeln aus der Schubkarre. Die war größer und schwerer als der Eispickel, wirksamer.
Andi war durch die Zaunteile verdeckt, aber sie wusste, sein Wirtshaus war ihm jetzt einerlei. Sie würde ihm eine tolle Show liefern.
Nelli stellte sich breitbeinig vor die schräg angelehnten Zaunteile, hob den Spaten und ließ die Metallkante wie eine Axt gegen die Mitte der Bretter sausen.
Sie brachen leichter als erwartet schon beim ersten Schlag entzwei. Nelli holte aus, zertrümmerte den zweiten Teil des Zaunes, lehnte längere Bretterreste an, schlug wieder zu und fuhr fort, bis sie einen ansehnlichen Haufen Kleinholz hatte.
Andi hatte wieder freie Sicht. Wie gegen eine beschlagene Fensterscheibe, so drückte er sich nun fest gegen das Eistor und starrte zu ihr herein.
„Drück dir deine Nase nicht noch platter“, rief ihm Nelli zu und wunderte sich, wie unbeschwert sie klang. Sie begann damit, die verstreuten Bretterteile direkt zu Andis Füßen vor dem Eistor anzuhäufen.
„Was soll denn das werden?“
Er versuchte spöttisch zu klingen, aber in seiner Frage schwang Angst mit. Angst um sein Projekt. Noch mehr Angst aber vor dieser Furie, die er damit allein gelassen hatte.
Nelli eilte zu ihrem Fahrrad und zog aus der Satteltasche die Streichhölzer und die Anzünderflüssigkeit, mit der sie abends immer ihr Lagerfeuer entfacht hatte. Sie schüttete den kompletten Flascheninhalt über den Bretterhaufen, zog ein Streichholz aus der Schachtel, entzündete es und ließ es fallen.
Das Holz ging so urplötzlich und lichterloh in Flammen auf, dass Nelli froh war, keinen Spiritus gekauft zu haben. Sogar Andi machte einen Satz zurück, obwohl ihm hinter dem dicken Eis bestimmt keine Gefahr drohte.
Sie rannte zu ihrem Fahrrad, zerrte ein T-Shirt aus ihrer Satteltasche und band es sich vors Gesicht. Einer plötzlichen Eingebung folgend, steckte sie noch das Fläschchen Reizgas ein, das sie in einer Seitentasche mitgeführt, aber noch nie benutzt hatte.
Sie hatte keine Ahnung, wie schnell Andi seinen Flaschenzug bedienen konnte und es auch tun würde.
Das Feuer hatte das Eis ringsum beim ersten Hochzüngeln verrußt und undurchsichtig gemacht und brachte es bereits zum Schmelzen. Dicke Tropfen liefen über die rauchgeschwärzte Eisfläche, und Nelli spürte eine Art Nieseln über sich. Auch das Eis an der Decke des Ganges schmolz schon und tröpfelte.
Konnte das Feuer den ganzen Hohlraum zum Einsturz bringen? Wohl eher nicht. Zumindest nicht gleich.
Wo, verdammt noch mal, blieb Andi?
Mochte gut sein, dass er den schmelzenden Verschlusspflock nicht mehr beiseite wuchten konnte. Was dann?
Der Sauerstoff wurde knapp. Ihre Haut brannte und warf bereits Blasen.
Nach vorne gebeugt, Gesicht dem Feuer ausgesetzt und immer heftiger hustend, sah Nelli durch den Rauch auf einen freien Ausgang.
Die Eiswand hatte sich geöffnet, und die plötzliche Zufuhr von Frischluft ließ die Flammen auflodern.
Nelli ging zwei Schritte rückwärts.
Mit rutschigem Antritt ihrer fremden Schlappen auf dem Eisboden machte sie einen Satz nach vorn und sprang über den Scheiterhaufen. Sie prallte vom eigenen Schwung nach vorn gerissen gegen die Wand des Gletscherstollens, strauchelte, wollte sich fangen, sah ihr Tagebuch unter sich auf dem Boden liegen, wo Andi es in seiner Panik über das Feuer hatte fallenlassen, und in der selben Sekunde sah sie Andi auf sich zurasen.
Er schob etwas vor sich her, erschrak über Nellis Anblick genauso wie sie über seinen, wollte ausweichen, aber der Schwung war zu groß und das, was er schob, zu schwer. Nelli wurde gerammt von einem Schubkarren voller Eisbrocken.
Andi, vom Impuls des Ausweichens und dem Aufprall aus seiner Bahn gebracht, stolperte über den Schubkarren, das Rad rutschte weg, und die volle Ladung kippte zur Seite und verbreitete sich prasselnd am Fuß des Scheiterhaufens über Nellis Tagebuch. Die wenigen Eisbrocken, die
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