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In eisigen Kerkern (German Edition)

In eisigen Kerkern (German Edition)

Titel: In eisigen Kerkern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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nur ein Vorwand.“
    „Du hast ja keine Ahnung.“
    „Was? Sprich lauter.“
    „Du hast keine Ahnung!“, schrie Nelli. „Keine Ahnung, wie das ist, jemanden zu verlieren und dann allein dazustehen mit einem Kind und einer Firma, die im Begriff ist den Bach runterzugehen. 20 Mitarbeiter, die um ihre Arbeitsplätze zittern, und dann diese Schmerzen, die Ungewissheit, die Angst vorm Sterben.“
    „Man kann sich Schmerzen auch einbilden, wenn man sie als Vorwand gerade nötig hat.“
    „Ich hatte Schmerzen. Und ich war krank.“
    „Willst du nicht wenigstens kurz vor dem Ende ehrlich zu dir selbst sein, Nelli? Ich finde sogar, das musst du.“
    „Ich muss gar nichts.“
    Er lachte kurz und laut.
    „Doch, eines musst du ganz sicher, nämlich sterben.“
    „Dann komm schon rein, los! Bringen wir’s hinter uns.“
    „Das könnte dir so passen. Ne, du bist mir zu wild und unberechenbar. Wenn du es uns nicht leicht machen und erfrieren willst, dann lass ich dich eben verdursten. Kein schöner Tod, glaub mir. Vielleicht kommt Platzangst dazu. Die Sauerstoffkonzentration ist jetzt schon nicht sehr hoch, und die Kälte wird dich verrückt machen.“
    Sie hatte das Gefühl, dass er inzwischen näher an dem Eisblock stand, der den Ausgang versperrte, sie sah seine Augen. Und es schien heller geworden zu sein. Ging bereits die Sonne auf?
    „Du wirst überall nach einem warmen Fleckchen suchen, wo du dich ausruhen kannst, aber in einem Gletscher natürlich keines finden. Wenn du dich hinlegst, hast du schon verloren. Also wirst du weiter in Bewegung bleiben, und um so quälender wird der Durst. Du kannst natürlich Gletschereis lecken, aber das wird dir nicht bekommen.“
    Nelli war jetzt ganz nah an den Eispflock getreten, der ihr den Fluchtweg versperrte. Sie versuchte, den Mechanismus zu durchschauen, aber von hier drin aus war kein Hinweis auf ein Flaschenzugsystem zu erkennen. Andi deutete ihr Näherkommen offenbar als Interesse an seinem Monolog, er steigerte sich noch mehr hinein.
    „Der kommende Tag wird so richtig scheiße für dich. Du wirst schreien, bis dir die Kehle platzt, nur hört dich natürlich keiner. Schade, dass ich das nicht miterleben kann, aber ich muss in meine Wirtschaft. Ich komme heute Abend wieder, mal sehen, wie weit ich bis dahin mit deinem Tagebuch bin. Ich glaub, da gibt es noch viele Geheimnisse zu entdecken, und über die können wir dann ja ein bisschen plaudern. Wenn du noch die Kraft dazu hast.“
    Es sah so aus als drehe er sich von ihr weg, bereit zum Aufbruch.
    Sie durfte ihn nicht gehen lassen. Bei aller Entschlossenheit spürte Nelli, dass sie den Eisblock vor dem Ausgang nicht beseitigen konnte und den Tag hier drin nicht überstehen würde.
    „Um deine Dioramen zu verwüsten, reicht meine Kraft noch!“
    Andi zögerte, blieb halb umgedreht, wandte sich ihr wieder zu.
    „Mit bloßen Händen kannst du nicht viel anrichten.“
    „Wieso, ich hab doch deinen Presslufthammer und deine Motorsäge.“
    „Na welche Überraschung. Da wäre ich ja nie drauf gekommen. Dann versuch mal, irgendwas davon in Gang zu bekommen.“
    Er lachte. Durch das Eis klang es wie Bohohaha.
    „Beides funktioniert mit Sprit, mit beidem arbeite ich, bis die Tanks leer sind, und den Sprit hab ich hier draußen gelagert. Also mach mal, Nelli, ich bin gespannt.“
    Ob Sprit oder nicht, Nelli hatte keine Ahnung, wie man eine Motorsäge oder gar einen Presslufthammer bediente und wohl auch nicht die Kraft dazu. Sie überlegte krampfhaft, was sie in den Dioramen alles gesehen hatte und was sich damit anfangen ließ. Sie musste verhindern, dass Andi sich davonmachte.
    „Also, was ist denn nun, Nelli?“
    „Hier drin ist genug Zeug, mit dem ich alles auf den Kopf stellen und den Eingang freimachen kann.“
    „Ich kenne mein Projekt ein bisschen besser als du, und ich wüsste nicht, was das sein sollte.“
    „Ach ja? Wart mal noch einen Augenblick, ich hab da eine Idee.“
    Sie hatte wirklich eine.
    Diese Idee war so naheliegend, dass sie längst hätte darauf gekommen sein müssen, zumal ihr ein ähnlicher Einfall unter anderen Bedingungen schon in Andis Haus als Fluchtplan gedient hatte. Aber der neue Plan war besser, weiterführender, grandioser. Und weitaus gefährlicher.
    Mit drei Schritten war sie im Bauarbeiter-Diorama gegenüber des versperrten Einganges. Das Stück Bretterzaun war nur an die seitliche Eiswand gelehnt. Als Nelli es packte und herauszerren wollte, fiel es halb auseinander. Gut so,

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