In ewiger Nacht
anderthalb Jahren niemand geglaubt, und auch jetzt wird mir niemand glauben. Niemand außer Dima.
Die Fingerabdrücke des Karussellfahrers wurden zur Zeit durch das Suchsystem des Innenministeriums geschickt. Dochohne Solowjows Einmischung würde diese Überprüfung mindestens einen Monat dauern. Dima könnte das Ganze beschleunigen. Obwohl das kaum etwas bringen würde. Doktor Filippowa war überzeugt, dass der Karussellfahrer nicht vorbestraft war und seine Fingerabdrücke nicht registriert waren.
»Ja«, sagte der Chefarzt, nickte, und das Fragezeichenhaar in seiner Nase zitterte, »die Arbeit ist natürlich noch roh, ein Entwurf gewissermaßen, aber gerade darum habe ich mich ja an Sie gewandt, Olga. Ich habe erwartet, dass Sie als erfahrene Ärztin dem jungen Kollegen helfen. Er braucht für seine Habilschrift Beispiele aus der Praxis, ohne sie kann er die Generallinie seiner Untersuchung nicht ausarbeiten.«
Die beiden wollten also, dass Doktor Filippowa dem Oligarchensohn erst den Aufsatz und dann die Habilarbeit schrieb. Wie viel mochte der junge Kollege dem Chefarzt dafür gezahlt haben? Und wie viel beabsichtigte Iwanow wohl für sie lockerzumachen? Wie es aussah, erst einmal gar nichts. Diese beiden klugen, nüchternen, tüchtigen Männer hielten sie für eine Idiotin.
»German, warum helfen Sie dem jungen Kollegen nicht, seine Generallinie auszuarbeiten?«, fragte sie sanft.
»Ach Olga, Sie wissen doch, ich bin eher ein Manager. Mein Terrain ist seit langem weder die Wissenschaft noch die Praxis. Außerdem habe ich absolut keine Zeit.«
»Aber ich.« Sie lächelte breit. »Ich habe einen Haufen Zeit, ich weiß gar nicht, wohin damit. Entschuldigen Sie, ich muss jetzt gehen. Alles Gute.« Sie stand auf und verließ das Büro.
Sie war sich sicher, dass der Oligarchensohn sie, kaum war sie zur Tür raus, übel beschimpfen und dass der Chefarzt ihm dienstbeflissen anbieten würde, einen anderen kostenlosen wissenschaftlichen Idioten für ihn aufzutreiben.
Na ja, dafür habe ich es hier wenigstens nicht mit Triebtätern, Vergewaltigern und Serienmördern zu tun, tröstete sich Olga, während sie durch den Klinikpark zu ihrer Station eilte.
Am Mittwoch hatte der Lehrer mit Shenja gesprochen. Am Donnerstag war sie nicht in die Schule gekommen, auch am Freitag nicht. Am Sonntag entschloss sich Rodezki, sie auf ihrem Handy anzurufen. Sie sagte, sie könne jetzt nicht reden und würde später anrufen – im Hintergrund hörte Rodezki Lärm und Lachen. Er wartete. Sie rief nicht zurück. Er wählte nochmals ihre Nummer.
»Na schön. Sagen wir um halb zehn im Park hinter dem Kasino. Sie wissen, wo das ist?«
Er sah sie schon von weitem und bemerkte, dass sie weit jünger aussah, als sie war. Höchstens wie zwölf.
»Also, da bin ich. Aber beeilen Sie sich bitte, ich habe wenig Zeit.«
»Shenja, wie konnte dir nur so etwas passieren? Wurdest du gezwungen? Wirst du bedroht oder erpresst? Brauchst du Hilfe?«
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden …«
Sie schien noch aufgeregter als er, sie sprach sehr leise, leckte sich dauernd nervös die Lippen und platzte schließlich heraus: »Haben Sie unsere Aufsätze schon durchgesehen? Da …«
»Wie kommst du jetzt auf die Aufsätze? Nein. Deinen habe ich noch nicht durchgesehen.«
Ganz in der Nähe hupte ein Auto. Zweimal kurz, einmal lang.
»Nein? Wirklich nicht?« Sie atmete erleichtert auf, dann schaute sie in die Richtung, aus der das Hupen gekommen war.
»Wissen Sie, ich … Ich hab es gerade furchtbar eilig.«
Sie wollte weglaufen, aber Rodezki griff nach ihrem Arm.
»Shenja, du lässt dich in Kinderpornos filmen.«
»Was?« Sie riss sich von ihm los.
»Du hast mich sehr gut verstanden. Ich habe dich gesehen. Im Internet, auf der Website von Mark Moloch.«
Erneut wurde gehupt, zweimal kurz, einmal lang. Shenja schaute in die Richtung, wo zwischen den kahlen dunklenBüschen Scheinwerfer leuchteten. Sie trat nervös von einem Fuß auf den anderen, ungeduldig wie ein angebundenes Fohlen.
»Sie spinnen ja. So ein Schwachsinn. Aber Sie kucken sich also Pornoseiten an, ja? Gefällt Ihnen wohl, wie?«
Das Licht einer Straßenlaterne blendete ihn, er konnte ihr Gesicht nicht sehen. Aber ihre Stimme klang gemein und schrill. Sie war natürlich nervös und furchtbar wütend.
»Nein, Shenja. Mir gefällt so etwas nicht. Ich bin zufällig auf die Seite gestoßen.«
»Sie irren sich.« Sie flüsterte nervös, beinahe hysterisch. »Sie stehen einfach auf
Weitere Kostenlose Bücher