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In ewiger Nacht

In ewiger Nacht

Titel: In ewiger Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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müssen sich wegen Pädophilie verantworten. Bei uns dagegen herrscht Funkstille. Ab und zu schnappen sie mal einen kleinen Perversen, einen verwahrlosten Obdachlosen, zeigen ihn im Kriminalreport im Fernsehen, sperren ihn kurz ein und lassen ihn gleich wieder laufen. Seriöse Männer landen bei uns wegen so was nicht hinter Gittern. Allerdings gibt es außer dem Gefängnis noch viele andere mögliche Unannehmlichkeiten.
    Die Verhandlungen gingen ihren Gang. Die Sekretärin brachte Kaffee. Der Glatzkopf schwieg, entnahm seiner Aktentasche auf Maschas Kommando Papiere und reichte sie Sazepa. Mascha machte eine durchsichtige Andeutung in Richtung »schwarze PR«, bot dafür eine unanständig geringe Summe und erwartete seine Gegenforderung.
    Aus der Ferne, wie von einem anderen Planeten, ertönten leise ein paar Takte aus Vivaldis »Jahreszeiten« – das war eins von Sazepas Handys. Es steckte in seiner Jackentasche, er musste sich also entschuldigen, aufstehen und den Schrank öffnen.
    »Wir haben ihn verloren«, teilte eine heisere Frauenstimme mit.
    »Wo?« Sazepa warf einen Blick auf Mascha, die aufmerksam lauschte und ihn beobachtete.
    »Im Kulturpark.«
    Im Kulturpark … Was für ein seltsamer, geradezu mystischer Zufall, dachte Sazepa und sagte zerstreut: »Gut.«
    »Klar, besser geht’s gar nicht.« Die Frau am anderen Ende lachte sarkastisch.
    »Wir reden später darüber. Ich habe Leute hier.«
    Sazepa schaltete das Telefon aus, ging an den Tisch zurück, setzte sich und schenkte seinen Besuchern zum ersten Mal ein freundliches Lächeln.
    »Mascha«, sagte er ruhig und sanft, »Sie wissen genau, dass so ein Auftrag weit mehr kostet.«
     
    Der Krankenhauspark lag in strahlender Sonne. Sie war unvermittelt aus einer nassen, samtigen Wolke aufgetaucht, blendend und kalt. Die kahlen Linden und Pappeln, die Schneewehen am Rand der Allee, die Allee selbst – alles war mit einer durchsichtigen Eisglasur überzogen und glitzerte in der Sonne wie Kristall. Bevor Doktor Filippowa in ihr Gebäude ging, setzte sie sich auf eine Bank, zündete sich eine Zigarette an, nahm ihr Telefon aus der Tasche und wählte die Nummer des Kriminalisten Solowjow. Sein Handy war ausgeschaltet.
    He, warum bist du so nervös? Ist doch egal, was vor zwanzig Jahren zwischen euch war. Ihr seid inzwischen beide erwachsen, beinahe alt. Ihr habt vor kurzem eine Weile zusammengearbeitet, habt versucht, ein Ungeheuer zu fassen. Nur manchmal, wenn ihr abends allein wart, seid ihr beide erstarrt, und jede Gesprächspause hätte wer weiß wie enden können. Ein Glück, dass ihr beide so beherrscht und vernünftig seid. Du hast einen Mann und zwei Kinder. Du solltest dich schämen! Es geht doch jetzt nicht um dich und Dima. Es geht um das Mädchen, das im Wald an der Landstraße gefunden wurde, und um deinen unbekannten Patienten, den Karussellfahrer.
    Olga trat die Zigarette aus und lief, den gefrorenen Pfützen ausweichend, zu ihrem Gebäude.
    Die Sonne war wieder verschwunden, und sofort wurde es dunkel und roch nach Frost. Stechende Körner flogen Olga ins Gesicht, nicht Regen, nicht Schnee. Dort oben im Himmel mahlte jemand in einer riesigen Mühle Eisblöcke und streute sie nervös über der Erde aus.
    Man kann keine Gerade von B nach A ziehen. Die beiden Punkte liegen in verschiedenen Dimensionen. Man kann nicht zu sich selbst mit zwanzig zurückkehren und sagen: »Was tust du da, besinn dich! Das wirst du dir nie verzeihen.«
    Wieder in ihrem Sprechzimmer, konnte Olga sich lange nicht aufwärmen. Was für ein verquerer Vormittag. Sie wäre jetzt gern allein gewesen, um ihre Gedanken zu ordnen und endlich Dima anzurufen. Aber wie zum Trotz hatte sie keine Minute Ruhe.
    »Sagen Sie, Olga, gibt es denn irgendeine Hoffnung, dass er wieder gesund wird?«
    Auf der Liege in ihrem Zimmer saß eine hagere, erschöpfte Frau um die sechzig und sah sie an, als könne Doktor Filippowa einen Zauberstab aus der Schublade holen, ihn schwingen, und der kranke Mann dieser Frau wäre wieder jung und gesund.
    »Wir stabilisieren ihn mit Medikamenten, aber vollständig heilen können wir Ihren Mann nicht.«
    »Kann ich ihn mit nach Hause nehmen?«, fragte die Frau.
    »Frühestens in einer Woche.«
    »Was bringt die eine Woche? Wie viele Wochen hat er überhaupt noch? Hören Sie, er arbeitet doch, er beantwortet Briefe, man fragt ihn um Rat, schickt ihm Bücher und Aufsätze zum Rezensieren. Er ist ein Wissenschaftler von Weltrang. Und Sie sagen, sein Gehirn

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