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In ewiger Nacht

In ewiger Nacht

Titel: In ewiger Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Shenja, Shenetschka, mein Leben, mein Tod, mein zynisches kleines Luder.«
    Fast drei Stunden saß er im Auto, hinter den getönten Scheiben, dem Haus gegenüber, und beobachtete den Eingang. Der schmuddelige Plattenbau, die Eisentür voller Graffiti, die kaputte Wechselsprechanlage, selbst die Luft in der Straße – alles hatte mit ihr zu tun, war durchtränkt von ihrem Atem, erfüllt vom Echo ihrer Stimme, von ihren leichten, raschen Schritten.
    Ein Minibus der Miliz fuhr vor und parkte hinter einem schwarzen Dienstwolga. Drei Männer in Zivil stiegen aus und verschwanden im Haus.
    Es sind rund vierzig Wohnungen, sagte er sich, die Miliz kann zu sonst wem wollen.
    Seine Frau rief an, er war verwirrt und erschrocken, als könne sie aus seiner Stimme etwas heraushören. Doch der Anruf brachte ihn zur Besinnung, als hätte ihm jemand einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf geschüttet. Er fuhr ins Büro.
    Die Vertreter der Presseabteilung des Politikers Lawrentjew, des Chefs der Duma-Fraktion von »Vaterland«, erschienen fünf Minuten zu früh. Nikolai war noch nicht so weit, hatte sein Gesicht noch nicht voll unter Kontrolle, und deshalb galt die erste Frage der Besucher seiner Gesundheit.
    Sie waren zu zweit; ein kleiner schnauzbärtiger Glatzkopf und eine große, schlanke Frau, die aussah wie ein gealtertes Model. Sie erkundigte sich teilnahmsvoll nach seiner Gesundheit und hielt bei der Begrüßung seine Hand ein wenig länger fest als üblich. Solche Frauen mochten ihn, auch seine Ehefrau gehörte zu diesem Typ.
    Der Politiker Lawrentjew bereitete sich auf die Wahlen vor.
    Bei so großen Aufträgen verhandelte der ehemalige Diplomat und jetzige Vorstandschef der Aktiengesellschaft Media-Prim Nikolai Sazepa persönlich mit den Kunden. Zu einer Wahlkampagne gehörte auch indirekte Werbung in Hochglanzmagazinen mit Millionenauflage. Interviews, Doppelseiten mit Farbfotos der Familie, offenherzige Gespräche über Liebe, Freundschaft und kulinarische Vorlieben. Der Politiker und die Kinder. Der Politiker und die Alten. Der Politiker im Wald, in der Natur, in einer Fabrikhalle, bei Melkerinnen im Kuhstall.
    »Wissen Sie, unsere Konkurrenten haben eine Serie gemeiner Lügen abgedruckt, sie werfen Lawrentjew sonstwas vor, von Schmiergeldern in Millionenhöhe bis zu Kindesmissbrauch.«
    »Ach?« Sazepa wurde lebhaft. »Kindesmissbrauch? Gibt es denn dafür Beweise? Ich meine, haben sie was fabriziert?«
    »Schön wär’s!« Die Dame seufzte und verdrehte vielsagend die Augen. »Dann könnten wir gerichtlich gegen sie vorgehen. Aber sie bedienen sich der bewährten alten Methode der Verbreitung nebulöser Gerüchte. Lauter Andeutungen, nichts als Andeutungen, dagegen sind unsere Juristen machtlos. Andeutungen und Gerüchte sind nicht justitiabel.«
    Die Dame hieß Mascha. Sazepa begriff plötzlich, dass er es mit der berühmten Mascha Bojegolowka zu tun hatte; sie war tatsächlich Model gewesen und nun PR-Beraterin, beförderte den Aufstieg vieler demokratischer Politiker. Vor Lawrentjew hatte sie Kusnezow betreut, davor Kudrjasch. Und vor rund fünfzehn Jahren war sie die Geliebte des Oligarchen Schwarz gewesen.
    »Wir müssen zurückschießen, gezielt und durchdacht.« Mascha drehte an dem Brillantring am Mittelfinger, strich sich das Haar glatt, klapperte mit den Wimpern, schaute auf Sazepas Lippen und leckte sich unauffällig die ihren.
    Ach, hätte mein Mädchen doch nur einmal ein so offenes weibliches Interesse an mir bekundet, dachte er. Mein Sonnenschein leckte sich nur bei Eis und großen Euroscheinen die Lippen. Mein heißgeliebtes kleines Dreckstück war schon mit ihren dreizehn Jahren gerissener und kaltblütiger als die erfahrene, in die Jahre gekommene Schönheit Mascha es ist.
Generation Next
. Keinerlei Komplexe, keine moralischen Schranken. Offene, schamlose Berechnung und höllischer, unglaublicher Zynismus. Ich würde zu gern mal einen Blick darauf werfen, wie sich Herr Lawrentjew heimlich mit kleinen Mädchen vergnügt. Oder bevorzugt er Knaben? Das mit den Schmiergeldmillionen ist die reine Wahrheit, darauf wird er nur nicht festgenagelt, weil diejenigen, die das gern täten, selber Schmiergelder nehmen. Und bei Kindesmissbrauch ist sowieso Pumpe. Deswegen wurde in Russland noch kein ernstzunehmender Politiker verhaftet, und das wird sichauch in den nächsten hundert Jahren nicht ändern. In Europa und Amerika laufen ständig Prozesse. Parlamentsabgeordnete, Minister, Generäle und Bischöfe

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