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In ewiger Nacht

In ewiger Nacht

Titel: In ewiger Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Täterprofile gefasst werden.
    In Russland arbeiteten Gerichtspsychologen und -psychiater nur mit bereits inhaftierten Tätern. Sie beurteilten ihre Zurechnungsfähigkeit – psychisch kranke Täter wurden nicht verurteilt, sondern isoliert und behandelt.
    Professor Guschtschenko galt als einer der besten Spezialisten für Serientäter, nicht nur in Russland, sondern auch in Europa und Amerika. Das FBI hielt seine Methode des Dialogs für eine der effektivsten – dabei ging es um einen möglichst engen Kontakt zum Täter, das Einfühlen in seine Persönlichkeit.
    Viele Beamte des Innenministeriums hielten seine Formel »Ich bin er« für mystischen Unsinn und eine Profanierung, aber sie funktionierte. Allerdings waren nur wenige Psychiater diesem unheimlichen Spiel gewachsen. Als Guschtschenko sein Team zusammenstellte, hatte er jeden Kollegen nach seinem eigenen System geprüft. Neben professionellen Fähigkeiten musste der Kandidat über eine enorme Intuition, einereiche Phantasie und ein hochentwickeltes emotionales und sinnliches Gedächtnis verfügen.
    Doktor Filippowa hatte nicht geahnt, dass sie alle diese Eigenschaften besaß. Es hatte ihr geschmeichelt, dass sie den Test als eine der Besten bestanden hatte. Sie wollte gern im Team des legendären Guschtschenko arbeiten.
    Anfangs hatte Olga nur eine vage Vorstellung davon gehabt, was es hieß, in die alptraumhaften Tiefen des Bewusstseins eines Triebtäters hinabzusteigen, Schritt für Schritt alle Stadien seiner Psychosen zu durchmessen. Die Körper seiner Opfer zu studieren, ihre Verletzungen zu lesen wie ein Buch. Die Tatorte zu besichtigen und zu versuchen, die grauenvolle Sprache der Symbole zu verstehen.
    Die Details eines Mordes sind eine verschlüsselte Botschaft, in der der Täter praktisch alles über sich mitteilt. Man muss nur den Schlüssel finden. Sich in den Mörder hineinversetzen. Ohne dabei verrückt zu werden.
    Olgas erster Patient war der Kannibale D. Er machte Pelmeni und Hackwürstchen aus Frauen. Es bereitete ihm keine Lust, seine Opfer zu quälen oder zu foltern – er tötete und verzehrte sie wie Schlachttiere. Der kräftige, breitschultrige Mann mit dem derben, männlichen Gesicht schloss mühelos Bekanntschaft mit Frauen, lud sie zu sich nach Hause ein, machte sie mit Wodka betrunken, schlief mit ihnen und schnitt dem schläfrigen Opfer mit einem Küchenmesser rasch die Kehle durch. Er war Tierarzt, lebte auf dem Land, besaß ein großes Grundstück und genoss den Respekt aller Nachbarn. Denen er übrigens hin und wieder billig frisches Fleisch abließ – Wild, wie er behauptete.
    Er hatte keine schwere Kindheit gehabt und keine Potenzprobleme. Er verachtete Frauen, betrachtete sie als niedere, lasterhafte Geschöpfe. Er behauptete, jede Frau, selbst die anständigste, sei tief im Innersten eine Prostituierte, und wenn eine ihren Körper nicht verkaufe, dann lediglich deshalb, weil sie nicht attraktiv genug war. Er mordete nicht nuraus Lust, sondern auch aus Prinzip: Lebensenergie sei eine wertvolle Gabe, und niedere Geschöpfe seien dieser Gabe nicht würdig, sie verplemperten sie sinnlos, indem sie tranken, rauchten und mit jedem x-Beliebigen schliefen. Sie müssten vernichtet werden, er müsse ihnen ihre Lebensenergie nehmen und sie sich als einem höheren Geschöpf einverleiben.
    Das Töten und Verzehren seiner Opfer bedeutete für ihn einen gewaltigen Energieschub. Das empfanden übrigens alle Serientäter, und fast alle berichteten davon. Der Energiestrom eines sterbenden Opfers war eine mächtige Energiequelle.
    »Du glaubst plötzlich, du kannst alles: fliegen, übers Wasser laufen, mit deinem Blick Gegenstände verrücken. Dieses unvergleichliche Gefühl allumfassender Macht kann man nicht vergessen, darauf kann man nicht mehr verzichten, und wenn es allmählich vergeht, muss man nach einer neuen Energiequelle suchen.«
    Ein anderes Forschungsobjekt, der pädophile Vergewaltiger K., der Mädchen und Jungen von zwei bis zwölf Jahren überfallen hatte, war ausgesprochen mitteilsam. Seine Ergreifung war das Verdienst von Professor Guschtschenko. Er hatte ein derart genaues und ausführliches Täterprofil erstellt, dass die Ermittler ihn nur zu verhaften brauchten.
    K. konnte sich stundenlang darüber auslassen, wie er seine Opfer ausgesucht, sie angelockt, vergewaltigt und erwürgt hatte. Bei der Tatrekonstruktion mit einer Stoffpuppe hatte er sexuelle Erregung empfunden.
    »Kinder haben eine reine, gesunde Energie«,

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