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In ewiger Nacht

In ewiger Nacht

Titel: In ewiger Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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zusammengewohnt habe.«
    »Was willst du da, Kleines? Ich bin raus aus dem Alter für solche Etablissements.«
    »Woher willst du das wissen? Es ist cool da, es wird dirgefallen. Da tritt der beste russische Popsänger auf, Vaselin, er schreibt seine Songs selber, und er hat eine tolle Stimme, er ist ein echtes Genie.«
    Er wollte nicht dorthin. Aber Signor Castroni hatte sich längst an die Launen der kleinen Signorina gewöhnt und widersetzte sich ihnen selten. Außerdem interessierte ihn das Leben des Mädchens außerhalb der Kulissen, in denen sich ihre Affäre abspielte. Er wusste nichts von diesem anderen Leben und malte sich ein idyllisches Klischee aus: Schule, Hausaufgaben, ein Kinderzimmer voller Spielzeug, gesunder kindlicher Schlaf, Arm in Arm mit einem Plüschteddy.
    In dem Nachtklub war es tatsächlich dunkel, zudem stickig und verraucht. Die Musik dröhnte, und der alte Professor bekam sofort Kopfschmerzen und tränende Augen. Der Sänger betrat die kleine Bühne und sang davon, wie er seiner Freundin mit einem elektrischen Messer den Kopf abtrennte. Der Saal brüllte. Shenja sprang auf und rannte zur Bühne, kämpfte sich durch die Menge und warf sich dem Sänger an den Hals. Castroni sah, wie der Sänger die Signorina umarmte und küsste. Das tat er mit den anderen nicht. Nur mit ihr.
    Offenbar ein Gleichgesinnter, dachte Sazepa spöttisch.
    Doch hoffentlich kein Rivale?, erschrak Castroni.
    Das Gesicht des Sängers konnte Sazepa nicht sehen, die Scheinwerfer huschten zu rasch über die Bühne. Die Verehrerinnen hüpften und kreischten. Beim nächsten Song kehrte Shenja an ihren Tisch zurück.
    »Schade, dass du den Text nicht verstehst!« rief die Signorina dem Professor zu. »Vaselin ist ein Genie! Der letzte russische Dichter. Wär doch toll, ihn auch in Italien zu promoten. Hör mal, hast du vielleicht Bekannte, die sich für aktuelle russische Musik interessieren?«
    »Was ist das eigentlich für ein Genre?«, rief der Professor zurück, die Lippen am warmen Ohr der Signorina.
    »Ach, ohne Text ist das schwer zu verstehen! Aber glaub mir, es ist genial.«
    Sazepa nickte ergeben. Er hätte viel darum gegeben, eine Zeitlang wirklich kein Russisch zu verstehen.
     
    Ach, mal unter ihr lag ich, mal auf ihr,
    meiner schweigsamen jungen Maid Lisa.
    Ich genoss die eiskalte Awdotja,
    ihren Körper, in dem ich versank.
    Die betörende üppige Vera,
    nahm ich stets und ausschließlich von oben.
     
    In dem Lied ging es um die Abenteuer eines Nekrophilen auf dem Friedhof. Professor Castroni verschluckte sich an einer gesalzenen Nuss, hustete und musste beinahe würgen. Vielleicht nehme ich das zu wörtlich? Vielleicht ist das ja ironisch gemeint?
    Er musste die Toilette aufsuchen. Dort schütteten zwei zierliche junge Männer, von denen einer sich als Mädchen entpuppte, ein weißes Pulver auf einen Taschenspiegel.
    Kokain!, dachte Sazepa entsetzt und verschwand in der Kabine.
    Als er in den Saal zurückkam, saß Shenja nicht am Tisch. Er entdeckte sie auf der Bühne, erneut in den Armen des Sängers. Er stand entschlossen auf und ging zu ihnen, ohne zu wissen, was er sagen sollte.
    »Nick! Komm her, ich mach euch bekannt«, rief Shenja.
    Der Händedruck des Sängers war schlaff und feucht.
    »Ich geb ihm deine CDs, er nimmt sie mit nach Rom, er kennt dort Produzenten«, schrie Shenja dem Sänger auf Russisch zu, strahlte dann Castroni an und wandte sich auf Englisch an ihn: »Nick, sag ihm, dass er ein Genie ist! Bitte, tu es für mich, sag ihm, dass du begeistert bist von seinen Songs!«
    »Sie singen gut«, sagte Castroni brav und einfältig, »allerdings verstehe ich kein Wort.«
    »Vielen Dank. Ich schenke Ihnen unbedingt ein paar von meinen CDs«, erwiderte der Sänger in schlechtem Englisch.
    Shenja machte einen Freudensprung und klatschte in die Hände. Neben ihr stand eine etwa achtzehnjährige puppenhafte Blondine.
    »Marina, meine Stiefmutter«, stellte Shenja sie vor.
    Dann waren da noch ein schwitzender Dickwanst – ein Produzent –, ein hässliches mürrisches Mädchen namens Natascha und andere. Shenja erzählte ihnen, Professor Castroni sei der Vater ihrer italienischen Freundin. Er sei zum ersten Mal in Moskau und wolle sehen, wie sich die jungen Leute hier amüsierten.
    Als sie endlich im Wagen saßen, fragte der Professor die Signorina, ob ihre Eltern wüssten, wo sie sich nachts rumtrieb.
    »Nein. Aber sie wissen auch nichts von dir.« Sie lachte.
    Ihr Lachen klang ein wenig

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