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In Ewigkeit, Amen

In Ewigkeit, Amen

Titel: In Ewigkeit, Amen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Hanika
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kollektiven Herzschlag der Gemeinde hören zu können. Rummbarumm, barumm. Dann das leise Klacken, als würde jemand die Orgel einschalten. Die Langsdorferin sah aus, als wäre sie kurz vor dem nächsten Bandscheibenvorfall. Und auf der Stirn der Rosl sah man Falten, die die Schriftzüge »Heiliger Gottvatter schütze deine kleinen Lämmer« formten.
    Plötzlich war die Kirche von einem vielstimmigen Räuspern, Husten und Füßescharren erfüllt.
    Dann setzten die Orgelklänge ein. Donnernd. Mächtig. Gewaltig. Und es war allen klar, das war nicht der Wanninger. Und es war auch nicht der Pudschek.
    Alle drehten sich um, obwohl man nichts sehen konnte. Ich ließ meinen Blick über die Menschen gleiten, die hinter mir saßen. Eine hatte sich nicht zur Orgel umgedreht. Die Lehmerin. Wir zwei starrten uns eine Weile an. Sie hatte einen seltsamen Ausdruck im Gesicht. Triumphierend? Stolz? Zufrieden? Sie wandte ihren Blick nicht von mir ab, und da wusste ich, wieso.
    Der Wind pfiff unangenehm kalt. Ich hatte mir einen Kübel geschnappt und sammelte Äpfel auf. Diejenigen, die der Schimmel schon mit einem ungesunden Ausschlag überzogen hatte, schoss ich Richtung Komposthaufen, um mich nicht bücken zu müssen. Die meisten zerplatzten aber bei diesen Schüssen. Hin und wieder sah ich schuldbewusst Richtung Haus, aber Großmutter, die mich bestimmt getadelt hätte, ließ sich nicht blicken.
    Mir ging der Gesichtsausdruck der Lehmerin nicht aus dem Kopf. Die Lehmerin und ihr Sohn. Da fehlt halt der Vatter, hatte die Rosl immer gesagt. Da wär er ganz anders word’n.
    Die Lehmerin hatte nämlich einen Sohn, der ungefähr in meinem Alter war. Vielleicht war er ein bisschen älter – das hatte ich inzwischen verdrängt. Der Sebastian »Wastl« Lehmer war nämlich jemand, den man gerne verdrängte. Vielleicht deswegen, weil er aussah wie jemand, der sich selbst gerne verdrängt. Oder wie jemand, der sich ständig gesund ernähren muss und deswegen ganz krank ist.
    »Der isst zu wenig Quark, Mädl«, hatte Großmutter über den armen Kerl gesagt. Wieso sein käsiges Aussehen an zu wenig Quark liegen sollte, war mir nicht klar. Im Gegenteil. Wahrscheinlich wurde er jeden Tag so mit Quark gemästet, dass die Gesichtsfarbe sich seiner Nahrung angepasst hatte. Ich behielt diese Überlegung bei mir, denn Großmutter hätte bestimmt nur gesagt, ach geh, Mädl, red kein Schmarrn. Geh zum Kühlschrank und hol dir einen Quark und iss ihn auf. Dann kriegst kein Buckel ned. Wie das Zusammenhängen sollte, war mir vollkommen rätselhaft. Mir wurde von Quark einfach nur schlecht, und ich hatte insgeheim beschlossen, dass man einen Buckel ganz gut kaschieren könnte, wenn es einmal so weit war. Vielleicht mit einem Rucksack, oder so.
    Großmutter hatte insofern recht, als Sebastian tatsächlich einen kleinen Buckel hatte. Aber ich war mir hundertprozentig sicher, dass es an den Vitaminen lag, dass er so komisch war. Ich kannte niemanden im ganzen Dorf, der so viel Vitamine aß und so krank aussah. Da war der Rückschluss doch nur berechtigt, dass dieses ganze Äpfel-Salat-und-Weizenkleie-Gegesse furchtbar ungesund war. Dass der Verzicht auf Schokolade krank macht, leuchtete mir sofort ein. Großmutter allerdings nicht. Bei ihr fielen Äpfel und Salat auch unter gesunde Nahrungsmittel. Weizenkleie Gott sei Dank nicht, weil das nämlich nicht bei uns im Garten wuchs. »Des kann ned g’sund sein«, meinte sie nur, als die Kathl ihr die Vorzüge von Weizenkleie erklärte. »Früher hat ma des doch alles wegg’haut.« Zu mir hatte sie dann leise gesagt, dass Kleie das sei, was übrig bleibt, weil es keiner will. »Was d’ Viecha fress’n. Und i sollt’s sauteuer in der Stadt kaufen.«
    Dagegen waren gerade ganz besonders runzelige Äpfel, von denen faulige Stellen weggeschnitten werden mussten, enorm gesund und mussten im Herbst in rauen Mengen gegessen werden. »Des soll Vorhalten, für den Winter«, erklärte sie mir dann immer. Weil im Winter waren diese fauligen Krippln nämlich schon ganz schwarz, und dann waren sie meiner Großmutter auch nicht mehr gesund genug. Vorsichtshalber schoss ich sorgfältig diese halbfaulen Äpfel Richtung Komposthaufen, in der Hoffnung, sie nicht aus Gesundheitsgründen essen zu müssen.
    Der Sebastian, versuchte ich mich zu erinnern. Der war schon immer was Besseres gewesen. Wir hatten früher alle Blockflöte gelernt, so wie Kinder eben Flötespielen lernen: Kleine Fingerchen, die die Löcher der Flöten

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