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In Ewigkeit, Amen

In Ewigkeit, Amen

Titel: In Ewigkeit, Amen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Hanika
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ausfallen. Sonst hatte Großmutter vor Allerheiligen nämlich auch in der Nacht schön durchgeheizt und auf den Tisch den »Seelenstrietzel«, den Allerheiligen-Spitz, gestellt. Den durfte man vor Allerheiligen nicht einmal anschauen, denn er war für unsere Verstorbenen gedacht. Und wenn man davon zu früh aß, wurde einem die Zunge schwarz. Oder der Tod kam durch die Tür, oder keine Ahnung. Jedenfalls stand dann immer der gruselige Seelenstrietzel da und trocknete in der vollkommen überheizten Küche aus. Wo doch Hefeteig am besten frisch schmeckt.
    Meist wurde ich zwei Tage vorher schon einmal auf den Friedhof geschickt, um den Grabstein zu polieren. Mir fiel wieder ein, wie sehr ich das gehasst hatte. Und zwar nicht wegen der Tätigkeit, sondern wegen des Pudschek-Grabs. Das hatte ich total verdrängt, die Sache mit dem Pudschek-Grab. Damals hatte ich keine Lust zum Grab zu gehen, so sehr fürchtete ich, dass auch an unserem Grab solch unheimliche Dinge passieren könnten. Denn ich hatte das Weiblein mindestens drei Mal gesehen. Sie war winzig klein und hatte einen alten braunen Mantel und einen selbst gestrickten grässlichen Hut auf dem Kopf. Jedes Mal stand sie eine Weile vor dem Grab und brummelte dumpf vor sich hin. Was das war, konnte man von unserem Grab aus nicht hören. Aber dumpfes Gebrummel war meistens ein Gebet, das man monoton und ohne Betonung herunterrattern konnte. Ich hatte dann an einem imaginären Fleck am Grabstein herumgekratzt und nur verstohlen zu der Frau hinübergeschielt. Nach dem Gebrummel hatte sie sich immer kurz umgesehen. Anscheinend vergewisserte sie sich, dass ihr keiner zusah. Da sie mich, halb versteckt hinter dem Grabstein, nicht sehen konnte, holte sie ein Taschentuch aus ihrer Handtasche. Meine Putzbewegungen waren immer langsamer geworden. Mit einer schnellen Bewegung klappte sie das Tuch auseinander, holte etwas hervor und warf es mit einer zornigen Handbewegung auf den Grabstein. Wieder hörte ich das bedrohliche Murmeln, das sich etwas gesteigert hatte. Dann drehte sich die alte Frau um und eilte hastig zwischen den Gräbern davon.
    Ich versuchte mich zu erinnern, wer das gewesen sein könnte. Ich hatte zwar von Urgroßmutters Grab einen guten Blick auf das Pudschek-Grab, weil man wegen dem Pudschek eine neue Gräberreihe hatte anfangen müssen. Aber ich hatte das Weiblein immer nur von hinten gesehen. Damals wusste ich aber trotzdem irgendwie, wer es war. Jetzt nicht mehr.
    Später hatte ich mich zu dem Grab geschlichen und neugierig geschaut, was auf dem Grab lag.
    Es waren lauter schwarze kleine Steine gewesen.
    Da hatte es mich gegruselt.
    Meine Beifahrertür wurde aufgerissen, und die Langsdorferin wuchtete sich umständlich auf den Beifahrersitz. Sie sah ja kaum was. Aber mein Auto fand sie trotzdem immer.
    »Eine Luft ist da drin. Zum Schneiden«, keuchte sie. »Ich sag’s dir. Und die Fenster, die könnten s’ auch mal wieder putzen. Da läuft die Suppn runter. Denen schimmelt noch alles zam.«
    Ich betätigte den Anlasser und wendete das Auto.
    »Der Schneider spinnt«, sagte sie dann, als sie ihn mit seinem Moospflanzlspeer sah. »’s letzte Mal im Chor hat er g’sagt. . .« Sie runzelte die Stirn. »Er hat g’sagt, den Deppen bring i um.«
    Ich gab Gas. Ja. Das sagte man hin und wieder bei uns. Besonders Leute, die sich Moospflanzlspeere anschafften, neigten zu cholerischen Äußerungen.
    »Mei«, erwiderte ich.
    »Er hat g’sagt, der Pudschek, der Depp«, erläuterte sie genüsslich und mit einem wohligen Schauer über die Erkenntnis, dass der Schneider ein potentieller Mörder sein könnte.
    »Mei«, wiederholte ich mich und gab noch mehr Gas. Leute, die sich um ihre Pflasterfugen kümmerten, brachten keine Organisten um, das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Leute, die sagten, den Deppen bring ich um, brachten normalerweise auch keinen um. Sonst wäre nämlich schon unser halbes Dorf ermordet. Allerdings rammte der Schneider den Speer vielleicht doch ein bisschen zu energisch in den Boden.
    »Der Wanninger«, sagte sie dann nur noch und schwieg.
    »Ja. Der Wanninger«, wiederholte ich und hoffte, dass sie weitersprach. War das alles, was sie beim Metzger erfahren hatte? Der Laden war bummvoll gewesen und keiner war herausgekommen. Bestimmt nicht deswegen, weil sich keiner entscheiden konnte, was es zum Mittagessen geben sollte.
    »Der arme Wanninger«, setzte ich anzüglich hinzu, als kleinen Denkanstoß, dass sie ihr Wissen mit mir teilen

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