In Ewigkeit, Amen
Ich hab die Suppn auf dem Herd vergessen.«
Großmutter stieg aus, und ich fuhr wieder los. Kein Wunder, dass es kein Taxiunternehmen in unserem Dorf gab. Die Leute hatten ja mich. Aber jetzt würde mich keiner mehr aufhalten. Ich würde auf der Stelle zum Schmalzl-Wirt fahren und ein richtig tiefschürfendes Gespräch über das Rauchverbot mit ihm führen. Das war zwar ähnlich gruselig wie eine Leiche zu finden, aber halt dummerweise mein Job.
Der Pudschek ist tot, dachte ich, während ich übertrieben Gas gab. Damals ging das durchs ganze Dorf. Warum nur fiel mir beim Pudschek immer der Wanninger ein? Denn der Pudschek war ja gar nicht ermordet worden. Oder doch? Ich versuchte mich zurückzuversetzen, mich an die Gesprächsfetzen zu erinnern, dieses Getuschel. Aber mir fiel nur ein, wie es in der Kirche damals gewesen war. Die donnernden Predigten von unserem alten Pfarrer. Und die Einsätze vom Pudschek an der Orgel.
Der Pudschek, der macht’s nimmer lang, hatte es immer geheißen. Ich hatte angenommen, dass Gott ihn zu sich rufen würde. Aber das war damit nicht gemeint. Er hatte einen verkrümmten kleinen Finger, weil eine Sehne verkürzt war. Das hatte ich erst jetzt verstanden, denn früher dachte ich immer, er hätte einen Krampf in der Hand, vom vielen Orgelspielen. So wie ich manchmal einen Krampf bekam, wenn ich einen Deutschaufsatz schreiben musste. Dann war jeder Buchstabe die reinste Qual. Beim Pudschek war das ähnlich, denn sein Orgelspiel wurde immer schlimmer, er spielte schon derart falsch, weil er von der linken Hand nur drei Finger benutzen konnte. Und eine Qual war es nicht nur für ihn, sondern auch für uns, die Zuhörer. Die Gemeinde versuchte zwar, mit Leibeskräften diesen Missstand zu verschleiern, indem jeder durch möglichst lautstarken, röhrenden Gesang die Orgel zu übertönen suchte. Aber das machte das akustische Erlebnis nicht unbedingt besser.
»Mei«, hatte Großmutter oft gesagt. »Den hat der liebe Gott g’straft mit seinem Finger.«
Und dann stellte ich mir immer vor, wie der liebe Herrgott den Pudschek beim Ringfinger packte und ihn verdrehte, wie das der Toni mit dem kleinen Finger vom Hans immer machte, bis der arme Hans quietschte. Und dabei sprach Er dann: »Du greißlicher Pudschek, du. Dein Orgelspiel ist nicht zu ertragen.« Oder so ähnlich. Und seitdem hatte der Pudschek vermutlich einen verkrümmten Ringfinger.
Anneliese hatte darüber nur gelacht und gefragt, wo ich so einen Schmarrn gelesen hätte. Der Herrgott wutzelte einem nicht die Finger zusammen, wie der blöde Toni, sondern der schickte seine heiligen Heerscharen mit flammenden Schwertern und schlug einem Körperteile ab.
Ich hatte damals beeindruckt geschwiegen. Anneliese konnte einen manchmal richtig verblüffen. Gerade, wenn es um göttliche Strafen ging, schien sie sich wirklich auszukennen. Allerdings war die oberste Instanz bei göttlichen Strafen noch immer Großmutter. Sie kannte wahrscheinlich mehr göttliche Strafen als der liebe Gott selbst.
Was der Pudschek wohl angestellt hatte, dass ihm solche Strafen auferlegt worden waren?
Vielleicht hatten wir ja einen Organistenhasser. Jemanden, der gerne jeden niedermachen würde, der Gesang mit Orgelspiel übertönt. Zum Beispiel die Bet, mit ihrer Gitarre. Kam nie zum Zug. Vor zwölf Jahren hatte sie wahrscheinlich endlich den Mut gefasst, den Pudschek um die Ecke zu bringen. Der Wanninger hatte zwar keinen eingeklappten Finger, aber seine modernen Stücke waren auch eine Zumutung. Und da hat die Bet vermutlich nachgeholfen.
Es war nicht richtig, dass ich dabei ständig an die Bet dachte. Schließlich war sie so gut, dass jedem normalen Menschen davon schlecht wurde. Und im Gegensatz zu manch anderer Rosenkranztante hatte sie über die Organisten nie so richtig geschimpft.
Wer hatte ihn gehasst? So sehr, dass er ihm ein Messer in den Rücken gerammt hatte?
Na ja. Da fielen mir schon wieder die Rosenkranztanten ein. Er hatte zum Beispiel oft viel zu schnell Orgel gespielt. Besonders das »Heilig, heilig, heilig«, das alle mit der nötigen Inbrunst singen wollten, spielte er grundsätzlich zu schnell. Für das Tremolo von der Langsdorferin blieb dann überhaupt keine Zeit mehr. Dann musste man sich entscheiden, mit wem man mitsang. Entweder mit der Orgel oder mit der Gemeinde, denn der Wanninger war meist schon mit dem Stück fertig, während alle noch sangen. Vielleicht hatte sich ja einer gedacht, jetzt reicht’s, greißlicher Wanninger
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