In feinen Kreisen
noch eine zusätzliche Dimension. Er ist etwas Geheimnisvolles, Düsteres und Schreckliches, eine Verletzung unserer moralischen Ordnung! Ein Unfall ist immer tragisch, aber er ist ein Missgeschick. Mord ist etwas Böses!«
Robbs Gesicht war rot angelaufen. »Bei allem Respekt, Sir, ich dachte, Sie hätten gesagt, Sie und ich seien nicht hier, um zu urteilen, sondern um die Fakten darzulegen. Wenn Sie nichts dagegen haben, Sir, würde ich es vorziehen, dabei zubleiben.«
Ein Raunen ging durch den Saal.
Rathbone gestattete sich ein Lächeln. Selbst wenn er gewollt hätte, hätte er es sich nicht verkneifen können.
Tobias bewahrte die Fassung, aber es kostete ihn sichtlich Anstrengung. Rathbone konnte es an der steifen Haltung der Schultern sehen, daran, wie der Stoff seiner teuren Robe sich über seinen Rücken spannte.
»Ich gebe Ihnen selbstverständlich Recht«, räumte er ein.
»Lassen Sie uns bei den nackten Tatsachen bleiben. Wenn Sie so freundlich sein möchten, uns den Mann zu beschreiben, den Sie gefunden haben? War er jung oder alt? Bei guter oder schlechter Gesundheit? Gestatten Sie uns, ihn mit Ihren Augen zu sehen, Sergeant Robb. Lassen Sie uns empfinden, was Sie empfunden haben, als Sie auf dem Pflaster standen und auf diesen Mann hinabblickten, der noch kurze Zeit zuvor lebendig war, voller Hoffnungen und Träume.« Er breitete einladend die Arme aus. »Nehmen Sie uns mit!«
Robb starrte ihn düster an. Nicht ein einziges Mal wandte er den Blick den beiden Frauen zu, die blass und reglos auf der Anklagebank saßen. Ebenso wenig sah er an Tobias und Rathbone vorbei ins Publikum, um nach anderen ihm vertrauten Gesichtern Ausschau zu halten: Monk, Hester oder Callandra Daviot. »Er war ein ganz gewöhnlicher Mann, im Liegen ließ sich seine Größe schlecht bestimmen. Er hatte glattes Haar und kräftige Hände, die schwielig waren, als hätte er ziemlich oft Zügel gehalten…«
»Irgendwelche Anzeichen für einen Kampf?«, unterbrach Tobias ihn. »Prellungen oder Schnitte, als habe er versucht, sich zu wehren?«
»Ich habe nichts dergleichen gesehen. Nur Kratzer auf seinen Händen, die daher rührten, dass er ein ganzes Stück gekrochen war.«
»Ich werde natürlich auch noch den Arzt befragen, aber trotzdem vielen Dank für Ihren Bericht. Wo genau wurde dieser Mann gefunden, Sergeant?«
»Auf dem Gehweg zwischen Nummer fünf und Nummer sechs auf Green Man Hill in der Nähe von Hampstead Heath.«
»Und in welche Richtung wies sein Gesicht?«
»Nach Nummer fünf.«
»Und ist das der Ort, an dem er getötet wurde?«
»Ich glaube nicht. Es sah aus, als sei er ein ganzes Stück weit gekrochen. Seine Hosenbeine waren an den Knien zerrissen und schmutzig, ebenso seine Ellbogen.«
»Wie weit ist er gekrochen? Können Sie das sagen?«
»Nein. Mindestens vierzig oder fünfzig Meter, vielleicht mehr.«
»Verstehe. Was haben Sie als Nächstes getan, Sergeant?« Frage für Frage entlockte Tobias Robb den Bericht, wie er Kutsche und Pferde gefunden hatte und zu dem Schluss gekommen war, sie müssten mit dem Toten in Zusammenhang stehen. Dann wie Monk bei ihm aufgetaucht war und nach einem Mann gesucht hatte, auf den die Beschreibung des Toten passte.
»Wie überaus interessant!«, sagte Tobias triumphierend.
»Vermutlich haben Sie diesen Mr. Monk ins Leichenschauhaus gebracht, damit er sich Ihre Leiche ansieht?«
»Ja, Sir.«
»Und hat er ihn identifiziert?«
»Nein, Sir. Er konnte es nicht. Aber er holte zwei Herren aus Bayswater, die den Mann als ihren Kutscher James Treadwell erkannten.«
»Und die Namen dieser Herren?«
»Major Harry Stourbridge und sein Sohn, Mr. Lucius Stourbridge.«
Ein leichtes Rascheln war zu hören, als die Zuschauer im Saal die Hälse reckten, um ja nichts zu versäumen. »Derselbe Lucius Stourbridge, der der Sohn von Mrs. Verona Stourbridge ist und mit Mrs. Miriam Gardiner verlobt war?«
Auf der Galerie gab es noch mehr Unruhe. Zwei Frauen reckten die Hälse, um zur Anklagebank hinüberzustarren.
»So ist es, Sir«, antwortete Robb.
»Und wann wurde Treadwell das letzte Mal lebend gesehen – und von wem?«
Widerstrebend berichtete Robb von Miriams Flucht vom Anwesen der Stourbridges und davon, dass Monk diese Tatsache zunächst verschwiegen hatte. Er erwähnte auch, dass Monk Miriam als Erster aufgespürt habe, noch bevor Robb selbst sie gefunden hatte. Rathbone konnte nichts tun, um ihn zu stoppen.
»Überaus interessant«, bemerkte Tobias. »Und hat Mrs.
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