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In feinen Kreisen

In feinen Kreisen

Titel: In feinen Kreisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Wochen später saßen Cleo Andersen und Miriam Gardiner auf der Anklagebank, der Verschwörung und des Mordes beschuldigt. Im Gerichtssaal drängten sich die Menschen. Das Scharren und Knarren von Stiefeln wurde immer wieder von Husten und gelegentlichem leisem Ächzen unterbrochen.
    Als alle Formalitäten erledigt waren, man für Ruhe im Gerichtssaal gesorgt und die Anklage verlesen sowie die Plädoyers gehört hatte, eröffnete Robert Tobias als Vertreter der Krone die Verhandlung. Rathbone hatte ihm schon mehrere Male vor Gericht gegenübergestanden und genauso oft gegen ihn verloren wie gewonnen. Tobias war von durchschnittlicher Größe und in jungen Jahren ein schlanker Mann gewesen. Jetzt, mit sechzig, war er immer noch beweglich und hielt sich aufrecht. Man konnte ihn nicht unbedingt als gut aussehend bezeichnen, aber sein Verstand und die Kraft seiner sonoren Stimme hoben ihn aus der Menge heraus und weckten zugleich Bewunderung und Furcht. Mehr als eine Dame der Gesellschaft hatte mit ihm geflirtet und sich dann stärker zu ihm hingezogen gefühlt, als es ihre Absicht gewesen war, und wurde am Ende enttäuscht. Er war Witwer und hatte die feste Absicht, seine Freiheit nicht aufzugeben.
    Er lächelte Rathbone zu und rief seinen ersten Zeugen auf, Sergeant Michael Robb.
    Rathbone beobachtete Robb, während er die wenigen Stufen zum Zeugenstand hinaufging und sich dann dem Gericht zuwandte. Er wirkte sehr jung und sah nicht gerade glücklich aus.
    Tobias ging bis zur Saalmitte, so dass er die Geschworenen auf der linken Seite hatte, den Zeugen vor sich und den Richter auf der rechten Seite, hoch oben auf seinem Stuhl.
    »Sergeant Robb«, begann Tobias höflich, »dieser ganze Fall ist sehr betrüblich. Kein anständiger Mensch kann sich zwei Frauen vorstellen, vor allem wenn die eine jung und hübsch ist und man der anderen die Pflege kranker Menschen anvertraut hat…« Er deutete mit einer knappen Bewegung in Richtung Anklagebank, »… man möchte nicht glauben, dass solche Frauen fähig sind, sich zu verbünden und aus Habgier kaltblütig zu morden. Glücklicherweise ist es weder Ihre noch meine Aufgabe zu beurteilen, ob dies wirklich geschehen ist.« Er wandte sich mit einer eleganten Bewegung zu den Geschworenen um und machte eine kleine Verbeugung in ihre Richtung. »Es ist die schreckliche Pflicht dieser zwölf braven Männer dort, und wahrlich, ich beneide sie nicht. Gerechtigkeit ist eine schwere Bürde! Es braucht einen starken Mann, einen tapferen Mann, einen ehrlichen Mann, um sie zu tragen.«
    Rathbone fühlte sich versucht, dieser Schmeichelei ein Ende zu bereiten, aber er wusste, dass Tobias genau das gern provoziert hätte. Er blieb sitzen und nickte ganz leicht, als sei er derselben Meinung.
    Tobias wandte sich wieder an Robb. »Alles, was wir von Ihnen wissen wollen, ist ein simpler, exakter Bericht über die Fakten, die Ihnen bekannt sind. Können wir vielleicht mit der Entdeckung der Leiche von James Treadwell beginnen?«
    Robb nahm Habtachtstellung an. Rathbone fragte sich, ob es für die Geschworenen genauso offensichtlich war wie für ihn, wie sehr Robb seine Aufgabe hasste.
    Wie fällten Menschen ein Urteil? Nach ihrem Gefühl? Mit ihrem Verstand? Nach ihrer Erfahrung? Wie wurden Beweise interpretiert? Wie oft hatte er schon erlebt, dass Menschen aus der Beschreibung ein und desselben Ereignisses vollkommen unterschiedliche Schlussfolgerungen zogen.
    Mit einer beinahe schuljungenhaften Schlichtheit begann Robb zu berichten, wie er nach Hampstead gerufen worden war, um sich die Leiche eines Mannes anzusehen, der aller Wahrscheinlichkeit nach durch einen Schlag auf den Kopf zu Tods gekommen war.
    »Sie sind also sofort zu dem Schluss gekommen, dass er das Opfer eines Mordes war?«, fragte Tobias mit offensichtlicher Befriedigung. Er vermied es, Rathbone anzusehen, als rechne er damit, von ihm unterbrochen zu werden. Er deutete Rathbones Schweigen als ein Zeichen dafür, dass diesem klar war, den Fall nicht gewinnen zu können.
    Robb holte tief Luft. »Nach den Spuren auf seiner Kleidung zu schließen, Sir, glaubte ich nicht, dass er aus einer Kutsche oder einem Wagen gefallen war oder dass jemand ihn überfahren hatte, der ihn in der Dunkelheit vielleicht nicht bemerkte.«
    »Wie scharfsinnig von Ihnen. Sie haben also von Anfang an begriffen, dass Sie es mit einer höchst ernsten Angelegenheit zu tun hatten?«
    »Der Tod ist immer ernst«, antwortete Robb.
    »Natürlich. Aber Mord hat

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