In feinen Kreisen
nicht dasselbe.«
Henry lächelte. »Keineswegs«, stimmte er ihm zu.
»Monk hat mich darum gebeten«, fügte Oliver hinzu. Henry nickte.
»Es war eine moralische Verpflichtung!«, sagte Oliver, wie um seine Entscheidung zu rechtfertigen. Er wollte nicht, dass sein Vater glaubte, er habe den Fall um Monks willen übernommen – und noch weniger sollte er glauben, er habe es Hester zuliebe getan.
»Ich verstehe. Wirst du mir erzählen, worum es sich handelt?«
»Selbstverständlich.« Oliver schlug die Beine übereinander. Er gab seinem Vater einen Überblick über beide Fälle, sowohl über den von Cleo Andersen als auch den von Miriam Gardiner. Dann wartete er ab bis Henry ihm nach einer Weile antwortete. Draußen war es inzwischen vollkommen dunkel, bis auf ein kleines Grasfleckchen direkt vor dem alten Apfelbaum am anderen Ende der Wiese, auf den das Mondlicht fiel.
»Und du vermutest, dass diese Cleo Andersen den Kutscher nicht getötet hat«, sagte Henry endlich. »Nicht einmal in einer Situation, für die man mildernde Umstände geltend machen könnte – oder möglicherweise in einem Kampf, in dem er durch unglückliche Umstände den Tod fand?«
Oliver dachte kurz nach, bevor er etwas erwiderte. Cleo hatte gesagt, sie sei bei Treadwells Tod nicht zugegen gewesen, und er hatte ihr geglaubt. Er glaubte ihr noch immer.
»Ja. Ja, davon gehe ich aus«, stimmte er seinem Vater zu.
»Sie hat nie bestritten, die Medikamente gestohlen zu haben. Ich habe keine Beweise, wie sie es im Einzelnen bewerkstelligt hat oder unter welchen Umständen. Ich habe es bewusst vermieden, solche Beweise zu finden.«
Henry bemerkte nichts dazu. »Und wo kommt Monk bei der Sache ins Spiel?«, fragte er stattdessen.
Rathbone erklärte es ihm.
»Und Hester?«, hakte Henry nach.
Oliver wusste, wie sehr sein Vater Hester mochte und wie groß sein unausgesprochener Wunsch gewesen war, Oliver möge sie heiraten. Manchmal fürchtete er, dass Hesters Wertschätzung für ihn auch auf ihrer Zuneigung zu Henry basierte und auf dem Wunsch, zu einer Familie zu gehören, in der sie die Sicherheit finden würde, die ihre eigene Familie ihr nicht gegeben hatte. Ihr Vater hatte sich infolge seines finanziellen Ruins gegen Ende des Krimkriegs das Leben genommen, nachdem skrupellose Männer ihn betrogen hatten, Männer, die Freundschaft und Ehre missbrauchten, um zu betrügen. Hesters Mutter war kurz darauf gestorben, mehr oder weniger an gebrochenem Herzen. Hester hatte nur ein einziges Mal mit ihm darüber gesprochen. Vielleicht hatte sie es auch Henry erzählt, um ein wenig ihre Last mit einem anderen Menschen zu teilen.
Dies war ein Thema, das er fürchtete. Er hatte es mit Bedacht so lange wie möglich gemieden und war sogar so weit gegangen, nicht mehr nach Primrose Hill zu fahren, sondern sich mit seinem Vater in der Stadt zu treffen, wo für private Unterredungen nicht allzu viel Zeit blieb. Jetzt konnte er es nicht länger hinausschieben.
»Es scheint Hester sehr gut zu gehen«, antwortete er gleichmütig. Zumindest glaubte er, mit gleichmütiger Stimme gesprochen zu haben, aber Henrys Miene sagte ihm, dass es ihm möglicherweise doch nicht gelungen war. »Natürlich macht sie sich größte Sorgen um diese Krankenschwester, sowohl aus persönlichen Gründen als auch aus Prinzip«, fügte er hinzu. Während er sprach, stieg ihm die Röte in die Wangen.
Henry nickte. »Ich kann mir vorstellen, dass sie nichts von ihrem Feuer eingebüßt hat.« Er sagte nichts über Olivers Motive, einen anscheinend hoffnungslosen Fall zu übernehmen. Er war der einzige Mensch, der Oliver dazu brachte, Erklärungen abzugeben, auch wenn keine von ihm verlangt wurden.
»Es ist wichtig!«, sagte er eindringlich und beugte sich ein wenig vor. Er betrachtete Henry, seine magere, leicht gebeugte Gestalt, sein graues Haar, und stellte sich vor, was er empfinden würde, wenn sein Vater nicht Mathematiker, sondern Soldat oder Seemann und krank oder verwirrt gewesen wäre und allein dagestanden hätte, außerstande, sich die Pflege, die er benötigte, leisten zu können. Der Gedanke daran war so schmerzlich, dass er unwillkürlich den Atem anhielt. »Die Sache selbst ist wichtiger als irgendein Einzelner«, sagte er mit Nachdruck.
»Wichtiger als Cleo Anderson oder sogar Hester – wichtiger als das Gewinnen an sich. Wenn wir diese Ungerechtigkeit zulassen, ohne etwas dagegen zu unternehmen, was sind wir dann noch wert?«
Henry sah ihn ernst an und alle
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