In feinen Kreisen
Fall bereits kampflos aufgegeben, als glaube er selbst nicht an die Unschuld seiner Mandantinnen, als habe er keine Hoffnung für sie. Und doch hatte Tobias Robb bereits über jeden Aspekt des Falls befragt, und es gab keinen Punkt, an dem Rathbone ansetzen konnte, um den Geschworenen einen anderen Eindruck zu vermitteln. Alles, was er gesagt hatte, stimmte. Hätte Rathbone den Sergeant die gleichen Dinge wiederholen lassen, wäre das nicht nur unnötig gewesen, die Fakten hätten sich auch in die Köpfe der Geschworenen eingeprägt. Er erhob sich.
»Vielen Dank, Euer Ehren, aber Mr. Tobias hat Sergeant Robb alles gefragt, was ich selbst von ihm wissen wollte. Es wäre unverzeihlich von mir, würde ich die Zeit des Gerichts verschwenden, indem ich den Sergeant das alles noch einmal wiederholen ließe.« Er nahm wieder Platz.
Tobias lächelte.
Der Richter nickte ihm bedauernd zu. Auch ihn schien der Fall zu bekümmern, und er machte den Eindruck, als hätte er viel lieber einen anderen an seiner Stelle gesehen, aber er würde dafür sorgen, dass man der Gerechtigkeit Genüge tat. Das war das Ziel, dem er sich verschrieben hatte.
Tobias rief den Pfarrer der Kirche in Hampstead auf, einen freundlichen Mann, der sich in dieser Umgebung sichtlich unwohl fühlte, der aber seine Aussage mit großer Überzeugung machte. Er kannte Cleo Anderson seit dreißig Jahren, und es fiel ihm sichtlich schwer zu glauben, dass sie ein Verbrechen begangen haben sollte. Er entschuldigte sich für seine Verwirrung. Andererseits war menschliche Schwäche sein Spezialgebiet.
Tobias sprach ihm sein Mitgefühl aus. »Und wie lange kennen Sie Miriam Gardiner?«, erkundigte er sich.
»Seit sie seinerzeit nach Hampstead kam«, antwortete der Pfarrer. Dann erzählte er, unter Tobias’ sanfter Leitung, die Geschichte von Miriams Auftauchen in Hampstead – ein etwa dreizehn Jahre altes Mädchen, das zutiefst verstört gewesen sei. Er berichtete weiter, dass Cleo sie bei sich aufgenommen und um sie gekümmert habe, während sie nach der Familie des Kindes suchte. Sie hatten jedoch niemanden finden können und so war Miriam bis zu ihrer Heirat mit Mr. Gardiner bei Cleo geblieben.
»Einen Augenblick!«, unterbrach ihn Tobias. »Könnten Sie uns bitte Mr. Gardiner beschreiben? Sein Alter, sein Aussehen, seine gesellschaftliche Stellung und finanzielle Situation.«
Der Pfarrer sah überrascht aus.
Rathbone hingegen war keineswegs verblüfft. Er wusste genau, was Tobias vorhatte – er wollte das Muster herausarbeiten, wie Cleo und Miriam einander in die Hände spielten.
Dieses Muster war sehr einfach: Miriam heiratete einen Mann mit einem gut gehenden Geschäft und teilte dann ihr Glück mit ihrer Gönnerin, die wie eine Mutter für sie geworden war. Er machte seine Sache gut, er zeichnete ein Bild der Frau und des Kindes, die in einfachsten Verhältnissen um ihre Existenz kämpften. Er beschrieb, wie nahe die beiden einander standen, sowie Miriams Glück, einen würdigen Ehemann gefunden zu haben, auch wenn dieser älter war als sie selbst, aber von sanftem Wesen und ihr offensichtlich von Herzen zugetan.
Es war keine Romanze, aber eine gute Ehe und gewiss alles, worauf ein Mädchen in Miriams Lage hatte hoffen dürfen. Eine Liebesheirat mit einem Mann ihres eigenen Alters und ihrer eigenen Schicht hätte ihr weder die finanzielle Sicherheit noch die gesellschaftliche Stellung gebracht.
Tobias brachte all diese Dinge geschickt und taktvoll zur Sprache. Wieder gab es nichts, worauf Rathbone einen Protest hätte stützen können.
Hatte Miriam auch in Bezug auf ihre neue Ehe ihr Glück mit Cleo Anderson geteilt?
»Selbstverständlich«, erwiderte der Pfarrer. »Welche liebende Tochter hätte das nicht getan?«
»Ganz recht«, pflichtete Tobias ihm bei und ließ die Angelegenheit auf sich beruhen.
Als das Gericht sich am Abend vertagte, ging Rathbone sofort zu Miriam. Sie war allein in der Zelle und sah müde und erschöpft aus. Sie fragte ihn nicht, warum er nicht gesprochen habe, und ihr Schweigen machte es ihm umso schwerer. Er wusste nicht, ob sie irgendwelche Hoffnungen gehegt hatte oder wie viel von alledem sie überhaupt verstand. Er selbst war mit den Gepflogenheiten einer Gerichtsverhandlung vertraut, sodass er nur allzu leicht dem Irrtum erlag, anderen würde es ebenso ergehen. Er hätte sie gern im Ungewissen darüber gelassen, wie ernst ihre Situation war, aber Ehrlichkeit, seine Ehrlichkeit, war alles, was sie hatten.
»Mrs.
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