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In fremderen Gezeiten

In fremderen Gezeiten

Titel: In fremderen Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Powers
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bin nicht … getötet worden.«
    Hurwood setzte sich auf; seine Perücke war verschwunden, seine eleganten Kleider waren in Unordnung geraten. » Aber ich wünschte … ich besäße einen Zauber … gegen das Stürzen.«
    » Ihr habt Mate Care-For, um euch vor Verletzungen zu bewahren«, sagte Davies ohne jedes Mitleid. » Das hatten diese Burschen nicht.« Er wies mit einer ausladenden Geste auf die Leichen und Verwundeten ringsum. » Ich hoffe, es war ein übler Sturz.«
    » Meine Tochter ist unter Deck«, sagte Hurwood, und jetzt, da sein Kopf wieder klarer wurde, klang seine Stimme drängend. » Sie wird bewacht, aber sagt Euren Männern, dass sie sie nicht …«
    » Sie werden sie nicht anrühren.«
    Der Anführer der Piraten sah sich mit zusammengekniffenen Augen um. » Das Schiff, das Ihr uns gebracht habt, ist nicht schlecht«, sagte er. » Ihr scheint beherzigt zu haben, was wir Euch sagten. Payne, Rich, zu mir! Lasst ein paar von den Jungs aufentern und alles an Holz, Tauwerk und Tuch entfernen, was nicht mehr zu gebrauchen ist. Dann takelt das Schiff notdürftig so weit auf, dass wir an der Großen Bahamabank vorbeikommen.«
    » Wird gemacht, Phil«, antworteten einige der Piraten und kletterten in die Wanten. Davies stieg vom Poopdeck herab und starrte die entwaffneten Männer am Hauptmast ein paar Sekunden einfach nur an. Er lächelte immer noch. » Vier meiner Männer sind während der Verfolgung und des Enterns getötet worden«, sagte er leise.
    » Jesus«, flüsterte der Mann neben Chandagnac und schloss die Augen.
    » Aber«, fuhr Davies fort, » mehr als die Hälfte von euch sind getötet worden, und ich werde das als ausreichende Wiedergutmachung ansehen.«
    Keiner der Matrosen sagte etwas, aber Chandagnac hörte Seufzer der Erleichterung und Füßescharren. Mit einiger Verspätung begriff er, dass er einem Todesurteil nur knapp entronnen war.
    » Es steht euch frei, das Beiboot zu nehmen und uns zu verlassen«, fuhr Davies fort. » Hispaniola liegt im Osten, Kuba im Norden, Jamaika im Süd-Westen. Ihr werdet Proviant, Wasser, Karten, Sextant und Kompass bekommen. Oder«, fügte er munter hinzu, » ihr könnt, wenn ihr Gefallen daran findet, bleiben und bei uns mitmachen. Es ist ein leichteres Leben als das der meisten anderen auf See, jeder von uns ist am Gewinn beteiligt, und es steht euch frei, nach jeder Reise euren Abschied zu nehmen.«
    Nein, vielen Dank, dachte Chandagnac. Wenn ich erst … meine Besorgung … in Port-au-Prince erledigt habe und wieder zu Hause bin, will ich nie mehr in meinem Leben irgendeinen verdammten Ozean sehen.
    Der alte Chaworth hatte einige Minuten lang den Blick langsam über das Schiff schweifen lassen, dessen Besitzer er noch vor so kurzer Zeit gewesen war, und Chandagnac begriff, dass der Kapitän sich zwar mit dem Verlust seiner Ladung abgefunden, aber bis jetzt geglaubt hatte, dass er sein Schiff würde behalten können. Schließlich trieben sich Piraten vor allem in flachem Wasser herum und entgingen einer Verfolgung meist, indem sie über Untiefen hinwegsegelten; nur selten wagten sie sich so weit hinaus, dass sie kein Land mehr in Sicht hatten. Sie sollten eigentlich für ein Hochseeschiff wie die Carmichael so wenig Verwendung haben wie ein Straßenräuber für eine Belagerungskanone.
    Das Gesicht des alten Mannes hatte sich aschgrau verfärbt, und Chandagnac begriff, dass Chaworth bis zu dieser letzten Wendung der Dinge noch nicht ganz ruiniert gewesen war. Solange er die Carmichael selbst nicht verloren hatte, hätte er sie verkaufen können und möglicherweise nach Auszahlung der Anteilseigner oder Mitbesitzer genug Geld übrig behalten, um die Besitzer der Fracht für ihren Verlust zu entschädigen. Er hätte dabei zweifellos seinen letzten Penny eingebüßt, hätte aber zumindest das Geheimnis für sich behalten können, das er Chandagnac an einem trunkenen Abend anvertraut hatte. Da nämlich die Kosten für die Versicherung inzwischen höher waren als der höchste Gewinn, den er mit seiner Fracht erzielen konnte, hatte er in seiner Verzweiflung den Besitzern der Fracht die Versicherung zwar berechnet … aber keine abgeschlossen.
    Einer der Piraten, die unter Deck gegangen waren, kam jetzt den achteren Niedergang herauf, schaute zurück in die Richtung, aus der er gekommen war, und winkte mit einer Pistole nach oben. Hinter ihm kamen der Koch – der offensichtlich die altehrwürdige Sitte befolgt hatte, Schiffskatastrophen zu begegnen, indem man

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