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In fremderen Gezeiten

In fremderen Gezeiten

Titel: In fremderen Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Powers
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sich so schnell und so gründlich wie möglich betrank – und die beiden Jungen, die alle Besorgungen auf dem Schiff erledigten, sowie Beth Hurwood die Treppe herauf ans Tageslicht.
    Hurwoods Tochter war bleich und ging ein wenig steif, aber nach außen hin war sie gelassen, bis sie ihren zerzausten Vater sah. » Papa!«, schrie sie und lief zu ihm hinüber. » Haben sie dir wehgetan?« Ohne auf eine Antwort zu warten, wirbelte sie zu Davies herum. » Euresgleichen hat ihm beim letzten Mal schon genug angetan«, sagte sie, und ihre Stimme war eine seltsame Mischung aus Wut und Flehen. » Die Begegnung mit Schwarzbart hat ihn einen Arm gekostet! Was immer er Euch heute getan hat …«
    » … kam uns sehr gelegen, Miss«, erwiderte Davies und grinste sie an. » In Erfüllung des Vertrages, den er und Thatch – oder Schwarzbart, wenn Ihr wollt – im letzten Jahr ausgehandelt haben, hat Euer Herr Vater mir dieses prächtige Schiff ausgeliefert.«
    » Was wollt Ihr damit …«, begann Beth, aber sie wurde durch einen schrillen Fluch von Chaworth unterbrochen, der den nächstbesten Piraten ansprang, dem überraschten Mann den Säbel aus der Hand rang und ihn dann wegstieß, auf Davies zustürmte und dabei weit ausholte, um den Piraten in zwei Teile zu spalten.
    » Nein!«, brüllte Chandagnac und machte einen Schritt vorwärts, » Chaworth, tun Sie das nicht …«
    Davies zog gelassen eine Pistole aus seiner grellen, orientalisch gemusterten Schärpe, spannte sie und feuerte auf Chaworth’ Brust; die Wucht der Kugel vom Kaliber fünfzig beendete den Angriff des Kapitäns und warf ihn mit solcher Wucht zurück, dass er für einen Moment fast auf dem Kopf stand, bevor er in der völligen Erschlaffung des Todes dumpf aufschlug.
    Chandagnac wurde schwindlig, und sein Atem ging flach. Die Zeit schien sich verlangsamt zu haben – nein, es war nur so, dass jedes Ereignis plötzlich überdeutlich wurde und nicht länger Teil einer ineinander übergehenden Abfolge war. Beth schrie. Die Rauchwolke aus der Pistolenmündung wogte einen weiteren Meter vorwärts. Die Möwe kreischte in erneuertem Schrecken und flatterte gen Himmel. Der fallen gelassene Säbel wirbelte über Deck und sein Handschutz aus Messing traf Chandagnac am Knöchel. Er bückte sich und hob die Waffe auf.
    Dann stürzte er sich, ohne es bewusst entschieden zu haben, selbst auf den Anführer der Piraten, und obwohl seine Beine stampften und er die schwere Klinge ausgestreckt vor sich hielt, hatte er das Gefühl, als bewege er mit geschickten Händen die Stöcke der Mercutio-Marionette, und ließ sie in einem Sprung, den sein Vater immer » coupé et flèche« genannt hatte, auf die Marionette des Tybalt losgehen.
    Überrascht und erheitert warf Davies die leergeschossene Pistole einem Kameraden zu, trat zurück, zog sein Rapier und nahm En-garde- Haltung ein.
    Chandagnac machte den letzten Schritt und glaubte beinahe, den Zug des Marionettenfadens nach oben zu spüren, als er die Spitze seines Säbels über das Schwert des anderen Mannes schnellen ließ und sich dann vorstieß, jetzt auf der Innenseite des gegnerischen Rapiers. Und die Antwort darauf – Tybalts seitwärtige Parade – war ihm so vertraut, dass er den Säbel fast zu schnell unter der realen, nicht einstudierten Parade hinwegführte. Aber Davies war auf die Finte hereingefallen und hatte wie vorgesehen pariert, und Chandagnacs freie Säbelspitze zeigte schließlich auf die ungeschützte Körperseite des Piratenführers. Chandagnac stieß mit dem ganzen Schwung seines Angriffs zu, sodass ihm der Säbelgriff aus der ungeübten Hand gerissen wurde, bevor er an seinem Gegner vorbei war.
    Der Säbel fiel klappernd aufs Deck und dann herrschte für einen langen Augenblick Stille. Davies, der immer noch stand, aber von dem Stoß halb herumgerissen worden war, starrte Chandagnac erstaunt an, und Chandagnac, der mit leeren Händen angespannt dastand und jeden Augenblick und aus jeder Richtung mit einem Pistolenschuss rechnete, hielt den Atem an und starrte hilflos in die Augen des verwundeten Piraten.
    Schließlich schob Davies sein Schwert bedächtig in die Scheide und knickte dann mit der gleichen Bedächtigkeit in den Knien ein. Die Stille war so absolut, dass Chandagnac tatsächlich hörte, wie die einzelnen Blutstropfen auf dem Deck aufprallten und zerplatzten.
    » Tötet ihn«, sagte Davies deutlich.
    Chandagnac hatte sich halb zur Reling umgedreht, in der Absicht, sich darüberzuschwingen und zu

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