In Gedanken bei dir (German Edition)
stieg über einen
umgestürzten Stamm und ging zu einem besonders hohen immergrünen Baum. Sie
steckte den Arm zwischen die nadeligen Zweige und legte die Hand flach auf den
borkigen Stamm, als wollte sie das pulsierende Leben der Tanne ertasten.
Alex
war ihr gefolgt. Neben Cassie blieb er stehen und sah sie verwundert an. Seine
Augen waren weit offen. »Cassie ...«, flüsterte er, als wüsste er, dass sie ihm
etwas zu sagen hatte.
Na
klar, er weiß es!, dachte sie. Deshalb bin ich ja gestern gekommen! Ich habe
ihm gesagt, dass wir reden müssen!
Alex
sah sie an, und in seinem Blick las sie Mitgefühl, Wärme und Liebe. »Woran
denkst du?«, fragte er leise, und seine Stimme war sanft, als wüsste er genau,
was sie quälte, als müsste er sie trösten.
Tränen
schossen ihr in die Augen, und sie musste schlucken.
»Willst
du jetzt mit mir reden?«, fragte er nach, ohne sie zu bedrängen.
Cassie
nickte und brachte doch kein Wort heraus.
Ȇber
uns?«
Sie
konnte ihm ansehen, dass er wusste, dass sie in den letzten Stunden über sie
beide nachgedacht hatte.
»Ja«,
sagte sie mit erstickter Stimme.
Alex
legte ihr die Hand auf die verkrampfte Schulter, streichelte sie mit dem
Daumen, dann schob er seine Finger in ihren Nacken, als wollte er sie küssen.
Was sah er in ihren Augen? Angst? Hoffnung? Verlangen?
Eine
Hitzewelle raste durch ihren Körper, ihr Gesicht glühte, und ihr Herz wummerte
wie der Vulkan, dessen gewaltige Explosionen irgendjemand damals mit dem
Cassettenrecorder aufgenommen hatte. Sie holte tief Luft.
Na los,
Cassie! Jetzt sag’s ihm
endlich!
»Alex,
ich will ...«
In
diesem Augenblick ertönte in ihrem Rucksack der sanfte Klingelton von Skype.
Das Tablet hatte sie mitgenommen, weil sie Alex die Videos von Jolie zeigen
wollte, weil sie ihm gestehen wollte, dass sie seine Tochter war. Cassie holte
es aus dem Rucksack, tippte den Screensaver weg und klickte Skype auf.
Es
war Nick.
Nein,
nicht jetzt!, dachte sie. Was immer du mir sagen willst, muss warten!
Alex
beobachtete sie mit verkniffenen Lippen, als sie Skype beendete und der sanfte
Rufton abrupt verstummte. Sie schob das Tablet zurück in den Rucksack zu den
Scheidungspapieren, die bisher nur Alex’ Unterschrift trugen, nicht aber ihre.
In
der Stille hörte sie das Plätschern der Wellen, das Rauschen des Windes, das
Zwitschern der Vögel und seinen Atem. Sie nahm alles in sich auf, jeden Laut,
jeden Gedanken.
»Cassie,
mein Liebes ...« Alex legte seinen Arm um sie und zog sie an sich heran. Seine
Stimme bebte vor Verunsicherung, und er musste trocken schlucken, damit sie
fest klang, entschlossen, zuversichtlich. »... ich muss dir auch was sagen ...«
Cassie legte ihm die Fingerspitzen an die
Lippen. »Schhhhht.«
Zwei
Inseln im weiten Meer, die auf ihren Kontinentalplatten langsam aufeinander
zutreiben, zwischen ihnen ein Hot Spot, dachte er. Das sind wir. Und der Hot
Spot ist schon so nahe, dass ich die aufsteigende, pulsierende Hitze spüren
kann, unter ihrer Haut und in meinem Inneren.
Cassie
nahm seine Hand in ihre, und Alex fühlte, wie sie perfekt ineinander passten
wie zwei Teile eines größeren Ganzen. Erst jetzt wurde ihm bewusst, was er vor
sechs Jahren hinter sich zurückgelassen und erst gestern wiedergefunden hatte.
Sie
zog ihn an sich heran, und er legte seine Arme um sie und schmiegte sich an
sie, als wollte er ganz eng mit ihr tanzen. Wurzeln und Zweige knisterten und
knackten unter den Sohlen ihrer Wanderstiefel, und tatsächlich begann Cassie,
sich langsam um ihn zu drehen. Nicht nur ihre Hände passten ineinander, auch
ihre Körper fügten sich wieder vollkommen zusammen. Wie überwältigend schön
sich das anfühlte!
Ihre
Nähe, ihre Wärme, ihren Duft zu spüren, ihre Brust an seiner, ihre Schenkel
zwischen seinen. Mit geschlossenen Augen lehnte Alex seine Wange gegen ihre,
fühlte ihren heißen Atem zwischen den feinen Härchen in seinem Nacken und
überlegte, wieso er dabei eigentlich zitterte. Cassie war doch seine Frau!
Sie
seufzte leise. Oder war er das?
Alex
richtete sich auf und sah sie an. Sie lächelte verschmitzt, und ihre Augen
funkelten dabei. Okay, dann hatte also er geseufzt.
Ihre
Lippen berührten zart seine Wange, dann seinen geöffneten Mund, und obwohl er
kurz an Marlee denken musste, genoss er die Berührung und erwiderte ihren Kuss.
Ihre Lippen, ihre Hände, ihr geschmeidiger Körper – er vergaß alle Sorgen und
Zweifel, sogar seine Eifersucht auf
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