In Gedanken bei dir (German Edition)
reden?«
»Sie steht neben mir. Augenblick.« Alex gab ihr
das Satellitentelefon. »Nick will mit dir reden.«
Mit
dem Iridium am Ohr schlug Cassie sich drei, vier, fünf Schritte in die Büsche,
damit Alex sich in Ruhe anziehen konnte. »Hi, Nick.«
»Hi,
Cassie.« Nicks Stimme klang gepresst. »Wo steckst du denn? Warum antwortest du
nicht auf meine Mail?«
Ihr
war plötzlich heiß vor Scham. »Deine Mail?«
»Ich
habe dir gestern kurz vor Mitternacht gemailt. Betreff: Jolies Zustand.«
»Aha.
Und wieso?«
»Weil
du auf keine meiner Nachrichten reagierst, Cassie«, sagte Nick, und sie konnte
hören, dass er sich mühsam beherrschte. Seine Stimme vibrierte. Vor Angst? Vor
Wut? Oder quälte ihn die Eifersucht, wie sie die Scham? »Ich spreche auf deinen
Anrufbeantworter, ich schreibe SMS, ich sende Videobotschaften über Skype, ich
hinterlasse Nachrichten in Souvenirläden, Restaurants und Visitor Centers. Aber
du rufst mich nicht an.«
»Mein
Smartphone hat hier keinen Empfang. Ich hab es abgeschaltet, nachdem ich durch
die Mailbox gescrollt habe. Shauna aus Singapore, Theresa aus Kapstadt, Norah
aus Sydney und all die anderen haben sich gemeldet. Keine Ahnung, wie viele
Anrufe und Textnachrichten ich seit gestern bekommen habe! Ich hatte keine Zeit
dafür. Und keinen Nerv.«
»Die
haben wohl alle das Video auf Youtube gesehen.«
»Welches
Video?«
»Den
Beitrag von von Eyewitness News at 5. «
Aus
dem Augenwinkel sah sie, dass Alex ihr Handy aus ihrem Rucksack holte, es
anschaltete und damit zu ihr herüberkam, damit sie die PIN-Nummer eintippte.
Okay, erledigt. Alex wählte eine Nummer, klemmte sich das Handy an die Schulter
und knöpfte sich das Hemd zu, während er darauf wartete, dass der andere,
vermutlich Gareth Byrne, sich meldete.
Cassie
wandte sich wieder Nick zu. »Hast du das Video auf Youtube gesehen?«
» A
Dying Wish hat bereits über zwölftausend Aufrufe, und es werden stündlich
mehr. Viele hinterlassen rührende Kommentare, tröstende Worte, aber auch das
Versprechen, Geld zu spenden. Andere besuchen unsere Website help-jolie.com.
Sie wird sehr oft angeklickt.«
»Du
lieber Himmel! Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Das klingt doch gut, oder?
Und, Nick ... Was stand denn in deiner Mail mit dem Betreff: Jolies Zustand?«
Nick
schnaufte. Er zwang sich zur Ruhe. »Jolie hat seit gestern Abend hohes Fieber.
Karen hat sie auf die Intensivstation verlegt und gibt ihr Transfusionen.«
Ihr
stockte der Atem. »Hängt sie noch am Schlauch?«
»Jolie
nennt es Happy Hour.«
Cassie
schlug sich die Hand vor die bebenden Lippen. Selbst wenn sie noch Luft in den
Lungen gehabt hätte, hätte sie nicht gewusst, was sie sagen sollte.
»Cassie
...«
»Ja?«,
quälte sie heraus, und es fühlte sich an, als versuchte sie, unter Wasser zu
sprechen.
»Karen
hat vorhin mit mir geredet. Die Lage ist ernst. Sehr ernst. Sie spricht von
einem möglichen Organversagen.«
»Wann?«
»In
den nächsten Stunden.«
Der
Druck in ihrer Lunge stieg weiter, als sänke sie auf den Meeresgrund, als fiele
sie in einen tiefen Abgrund in einem weiten Ozean. »Welches Organ?«
»Die
Nieren.«
»Ich
gebe ihr eine von meinen«, sagte sie, ohne nachzudenken.
»Dann
wirst du nie wieder tauchen«, entgegnete Nick mit tonloser Stimme.
»Ich
weiß«, hauchte Cassie, und sie fühlte sich, als hätte sie gerade den tiefsten
Punkt ihres Sturzes erreicht. Bei dem Gedanken, dass sie Jolie verlieren würde,
zitterte sie am ganzen Körper.
»Cassie,
du musst nach Hause kommen«, beschwor Nick sie eindringlich. »Karen lässt mich
über keine Therapien entscheiden. Ich bin nicht Jolies Daddy.«
»Okay«,
flüsterte sie und stellte sich dabei Nick vor, der wie gehetzt durch die
Krankenhausflure wanderte, ohne von den Ärzten und Schwestern etwas
mitzubekommen. Sie stellte sich vor, wie er körperlich erschöpft und geistig
betäubt stehen blieb und sich gegen eine Wand mit Kinderzeichnungen lehnte, um
sich aufrecht zu halten. Sie stellte sich vor, wie er sich danach sehnte, sich
in ihre Umarmung fallen zu lassen. Sie stellte sich vor, wie er seinen Kopf an
ihre Schulter legte, um sich von ihr trösten zu lassen.
»Hast
du schon mit Alex geredet?«, fragte Nick.
Sie
sah hinüber zu ihm. Das Gespräch mit Gareth war beendet. Alex hockte auf einem
Felsen und schnürte gerade seine Wanderstiefel zu. »Nein.«
In
der Leitung raschelte es, als nähme Nick das Handy in die andere Hand. »Du hast
ihm
Weitere Kostenlose Bücher