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In grellem Licht

In grellem Licht

Titel: In grellem Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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mehr an ein teures Hochschulstudium verschwenden.
    Letine saß reglos da. Dann lief er dunkelrot an und senkte
die Augen, um ihren Ausdruck zu verbergen. Also gehörten er und
seine Frau auch zu den Unfruchtbaren; das fand ich keineswegs
überraschend. Und einer von ihnen beiden – nach seinem
Gesicht zu schließen, war es sie – bedachte irgend etwas
(kein Haustier – was dann?) überreichlich mit seiner
verhinderten Elternschaft. Ich verspürte Mitleid mit ihm, was
ihm natürlich zuwider gewesen wäre, hätte er es
geahnt.
    Formell sagte Leah Janson, um es dokumentiert zu haben:
»Selbstverständlich existieren Gesetze, die es untersagen,
Teile des menschlichen Körpers auf niedrigere Spezies zu
verpflanzen.«
    Also gut, sollte das Protokoll auch wirklich vollständig
sein. Ich sagte: »Der schwarze Markt hält sich nur selten
an das Gesetz.«
    »Ich finde wirklich«, stellte Vorsitzender Leonard fest,
»daß wir uns schon recht weit vom Thema entfernt haben.
All das ist sehr interessant, Doktor Clementi, und wenn Sie sagen,
daß es theoretisch machbar ist, dann akzeptieren wir das
natürlich. Aber die Aufgabe dieses Ausschusses ist es
herauszufinden, was tatsächlich vorgeht. Nicht die Theorie,
sondern die Fakten. Und es gibt keine Fakten, die Shana Walders’
Behauptungen stützen könnten. Keine Spur in dem
Gebäude, aus dem sie angeblich diesen Mann kommen sah. Keine
Spur von dem Mann oder von den angeblichen Tierexperimenten. Und kein
Grund anzunehmen, daß Miss Walders’ Angaben diesmal
glaubwürdiger sind als diejenigen, auf die sich die Eintragungen
in ihrer offiziellen Dienstbeschreibung beziehen.«
    »Ganz meine Meinung«, sagte Leah Janson.
    »Und die meine«, sagten Satish Gupta und Susan
O’Connor und alle anderen reihum – mit Ausnahme von James
Letine, dem Neuzugang, der stumm blieb.
    »Dann können wir unseren Bericht wohl dahingehend
abschließen«, meinte Leonard, »daß diese durch
nichts zu erhärtende und wahrscheinlich frei erfundene Meldung
keine weitere Untersuchung verdient. Für das Protokoll: Dies ist
eine einstimmige Entscheidung des Beirates für medizinische
Krisen beim Kongreß.«
    Unter den Teppich gekehrt. Und wieder einmal hatte es der Beirat
vermieden, an das größere Problem auch nur zu rühren.
Es gab nichts mehr, was ich hätte tun können, wenn ich
nicht einen offiziellen Protest beim Kongreß einbringen wollte.
Was Konferenzen, Medienberichte, Machtkämpfe,
Rechtsanwälte, Stellungskriege zur Folge haben mußte. Und
wenn alles durchgestanden war, würde mir dann irgend jemand
außer den Ärzten und Wissenschaftlern glauben? Und machte
es wirklich etwas aus, wenn es Schimpansen gab, die aussahen wie
Kinder und in Wiegen schliefen und von verzweifelten Paaren, die nie
ein eigenes Kind haben würden, in Babytragtaschen
herumgeschleppt wurden? Ich hatte drei Kinder. Welches Recht hatte
ich, gegen den Herzenstrost jener zu wettern, die zu spät
geboren waren, um welche zu bekommen?
    Außerdem hatte ich einfach nicht die Kraft dazu.
    Wir können noch kein ganzes komplexes Organ wie die Leber
mittels Vivifaktion herstellen, geschweige denn ein Gehirn. Nicht mit
unserem gegenwärtigen Stand des Wissens und der Technik. Nicht
einmal einen Teil des Gehirns; es ist einfach zu komplex. Wir
können selektiv bestimmte Hirnareale ausschalten, wie man es bei
der Aushungerung eines Tumors macht, oder gewisse Vorgänge wie
retrograde Amnesie herbeiführen. Wir können andere
erkrankte Areale abgrenzen, herausschneiden oder ausbrennen. Aber
nichts von alldem würde mir helfen. Als er entdeckt wurde, hatte
sich der Mukor-Mykose-Pilz bereits durch meine beiden
Nasenlöcher bis in die zarten Gesichtsschädelknochen
dahinter ausgebreitet, und damit war die Fähigkeit meines
alternden Immunsystems, mit ihm fertigzuwerden, hoffnungslos
überfordert. Mit langen, dünnen Fäden war er in mein
Hirn eingedrungen, und ich hatte vielleicht noch, wie mir die
Ärzte erklärten, drei Monate normalen Funktionierens vor
mir – und dann ein paar weitere Monate des Sterbens.
    Die wollte ich gut hinter mich bringen.
    Wer legt heutzutage noch Wert auf einen gut vorbereiteten Tod? schrieb Rainer Maria Rilke vor mehr als einem Jahrhundert. Niemand… Nur selten findet man jemanden, der seinen ganz
eigenen Tod haben möchte. Einst, vor langer Zeit, da trug man
den Tod so in sich wie eine Frucht den Kern. Die Kinder hatten einen
kleinen in sich und die Erwachsenen einen großen. Die Frauen
trugen ihn in ihrem

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