In grellem Licht
nicht zu
stören. Und ich kann nicht aufhören zu zittern.
»Cameron«, flüstert Rob mit sanfter Stimme, ohne
mich zu berühren, »sag es mir. Erzähl es
mir.«
Aber das kann ich nicht. Es gibt nichts zu erzählen. Meine
Erinnerung ist nicht vorhanden.
Tags darauf rufe ich Frau Doktor Newell an, und sie kommt ins
Aldani House und liest eine Menge Werte von einem tragbaren
medizinischen Gerät ab. Dann plaziert sie mir ein weiteres
Pharmazeutikum mit langer Abbauphase unter die Haut. Eine Woche lang
kommt sie jeden Tag persönlich ins Aldani House, um meine Werte
zu prüfen. Nach dieser Woche schickt sie Rob und mich zu einem
neuerlichen Spaziergang nach draußen.
Wieder sehe ich einen Hund – diesmal nicht in einem
Kinderwagen, sondern an einer Leine – und spüre, wie sich
meine Muskeln eine Sekunde lang anspannen, aber das ist auch schon
alles. Ich flippe nicht aus. Rob schenkt mir ein zärtliches
Lächeln, und der Rest des Spazierganges ist leicht, macht sogar
Spaß – aber nicht soviel Spaß wie der erste.
Und die Träume wollen nicht aufhören.
Die Tournee zerbricht alles.
Wir eröffnen sie mit einer Gala im International Center in
Washington. Vier Abende dort, dann soll eine Privatvorstellung im
Weißen Haus folgen, aber daran nehme ich nicht teil, denn Sarah
und Dmitri tanzen die Hauptrollen. Ich gehe statt dessen nach New
York, Montreal, London, Paris und Atlanta. Das Repertoire besteht aus
der üblichen komischen Tournee-Mixtur: Ausschnitte aus alten
Hüten wie dem Verlorenen Sohn und Synergie, ein
paar beliebte und bekannte Stücke wie String-Theorie, etwas wirklich Interessantes und Neues aus dem Werk von Leuten
wie Dana Stauffer und Elisabeth Beaudré und sogar – Gott
steh uns bei – den verschimmelten alten pas de deux aus Schwanensee. Ich tanze sechs Haupt- und zwei Nebenrollen. Rob
hat drei Nebenrollen und tanzt im Corps de ballet. Er muß an
seinen Sprüngen arbeiten.
Am ersten Abend, auf unserem Weg zum International Center, werden
Rob und ich von Schwulenhetzern überfallen. Oder vielleicht
waren es gar keine Schwulenhetzer; vielleicht wollten sie bloß
Geld oder Drogen. Nur glaubt Rob das nicht, und er ist derjenige, der
weiß, wie es in Washington zugeht. Nicht ich.
Ich weiß überhaupt nichts.
Nicht, warum wir überfallen wurden. Nicht, warum die Hetzer
plötzlich ihre Attacke abbrechen und anfangen, sich
untereinander zu prügeln. Und nicht, wie eine Soldatin am
vierten Abend der Gala in meine Garderobe gelangen kann. Niemand kann
mir das sagen, nicht einmal dann, als alles vorüber ist.
Das International Center ist zwanzig Jahre alt, erbaut unmittelbar
vor dem Kipp-Punkt. Wie alle derartigen Gebäude verfügt es
über einzigartige Sicherheitseinrichtungen. Meine Garderobe
befindet sich am Ende eines langen Korridors, der lückenlos mit
Robokameras ausgestattet ist. Daheim haben wir natürlich nicht
jeder unsere eigene Garderobe, aber das International Center ist
riesig, dazu bestimmt, auch mal einen chinesischen Zirkus oder
französische Opern und weiß Gott was noch alles zu
beherbergen, und so können wir uns nach Herzenslust ausbreiten.
Nicht mal Rob und ich teilen uns die Garderobe – zu
gefährlich außerhalb von Aldani House. Dieser Umstand hat
aber unser Sexleben nicht beeinträchtigt, das nach wie vor ganz
wundervoll ist.
Ich tanze den Horethal in Taube über dem Wasser, einem
Stück, das typisch ist für unser auswärtiges
Repertoire. Biblische Themen beim Ballett sind groß im Kommen,
sagt Rob; das Publikum besteht zu einem beachtlichen Teil aus
Politikern, die davon überzeugt sind, daß Gott den
Menschen als sein genaues Abbild erschaffen hat, Punktum. Oder die
zumindest so tun, als würden sie es glauben. Da Horethal am Ende
des ersten Aktes, als die Arche bereits gebaut ist und der Regen
beginnt, getötet wird, gehe ich hinterher zurück in meine
Garderobe, erhitzt und schweißfeucht und grandios in meinem
schändlich dekadenten Kostüm. Es besteht zum Teil aus
Gewebe, zum Teil aus winzigen angeklebten Spiegeln und zu einem
weiteren Teil aus einem Holo, das Lichtschlangen projiziert, die sich
ohne Unterlaß um meine Arme und Hüften, zwischen meine
Beine und daran entlang nach unten schlängeln. Toll! Schade,
daß Rob nicht das gleiche tragen kann. Er ist Shem und wird von
Gott errettet und hat daher ein langweiliges weißes Hemd und
dazu enge weiße Strumpfhosen an.
Der Korridor ist leer. Ich schließe die Tür meiner
Garderobe, nehme die Maske ab und schalte
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