In grellem Licht
Schoß und die Männer in ihrer Brust.
Man besaß ihn, und in diesem Besitz lag eine eigene Würde
und ein stiller Stolz…
Mein Fruchtkern, der in der rechten Hirnhälfte saß,
verursachte mir Kopfschmerzen, Infektionen der Nase und ein immer
wieder auftretendes Herabfallen des rechten Lides, besonders, wenn
ich müde war. Und nun war ich müde. Ich hatte das
Bedürfnis, nach Hause zu gehen, mich mit Maggie in den Armen auf
mein Bett zu legen und ihr zu sagen, daß ich sterbenskrank war.
Daß ich vor allem eines wollte – einen wohlvorbereiteten
Tod, in Würde und mit hocherhobenem Haupt. Daß ich ruhig
sterben wollte, eingehüllt in ihre herbe, unerschöpfliche
Liebe, in unserer Blockhütte in den Blue Ridge Mountains, mit
den Wäldern hinter mir, dem Berg unter mir und dem Himmel
über mir, um dort jenen fernen, jedoch unausbleiblichen Tag
abzuwarten, an dem der Tod der Sonne meine Atome zu jenen Sternen
zurückschickt, in denen sie geschmiedet wurden. Ich bin weder
ein melodramatischer noch ein religiöser Mensch, aber diesen
Gedanken fand ich dennoch tröstlich; er war Teil jener Gedanken,
die ich in mir ansammelte für meinen ruhigheiteren Tod,
während ich mich darauf vorbereitete, alles andere, was ich
liebte, aufzugeben. Was ich ganz gewiß nicht wollte, war das
Sterben inmitten eines Mediendonners über Vivifaktion, üble
Machenschaften der Forscher, politische Inkompetenz, soziale
Verantwortung, Gezänk um die Forschungsgelder, religiöse
Hysterie und die Beliebtheitswerte der Politiker. Die Mitglieder des
Beirates ließen mich nicht aus den Augen. Leonard, der
Vorsitzende, fragte: »Herr Doktor Clementi? Haben Sie noch etwas
hinzuzufügen?«
»Nein«, sagte ich. »Ich habe nichts
hinzuzufügen.« Alle lächelten, und der Beirat
bereitete sich darauf vor, das nächste Thema in Angriff zu
nehmen – und Shana Walders’ Zukunft mußte sich Waffen
geschlagen geben, die zu verstehen sie nie eine Chance gehabt
hatte.
6
CAMERON ATULI
Eine Woche, nachdem Rob und ich ein Liebespaar geworden sind,
verlasse ich zum erstenmal die Mauern von Aldani House. Rob besteht
darauf. Nur einen kurzen Spaziergang, sagt er, wie willst du wissen,
daß es dir nicht gefällt, wenn du es nicht probierst?
Es gefällt mir. Vom Tor bis zur zweiten Kreuzung besteht die
Straße aus hübschen Häusern mit einem kleinen Rasen
und Unmengen bunter Blumen davor. Auf der breiteren Querstraße
drängen sich die Menschen, die das Frühlingswetter
genießen. Für all jene, die es benötigen,
verläuft in der Mitte des Gehsteiges ein stabiles Geländer
aus Metall. Es gibt Terrassencafes, Musik und wunderbare kleine
Läden:
Alles Gute, mit Nahrungsmitteln aus der ganzen Welt und
einem Schaufenster voller Backwaren – Napfkuchen, Marzipanobst
und Blätterteiggebäck mit allerlei Füllungen.
Reife Schönheit, ein Haarsalon mit einem Angebot von
>Frisuren, Perücken und Haartransplantate für die reife
Frau<.
Suchscheinwerfer, eine Firma, die sich auf Nachforschungen
in Öffentlichen Datenbanken spezialisiert hat.
Der Alte Spielzeugladen, mit Schaufenstern voller Puppen,
die in historische Kostüme aus alten Stoffen gekleidet sind
– sollen diese Puppen tatsächlich für Kinder bestimmt
sein? Sie sehen nicht so aus, wenn man von den preiswerten
>Großmama-Anna<-Puppen in einer Ecke absieht.
Das Baumhaus, ein Blumenladen. In den Fenstern
phantastische GenMod-Blumen: lila-rot gestreifte Rosen,
Büschelglöckchen und Ringellilien, die süß
duftenden Lilien, die nach dem Schnitt zwei volle Wochen frisch
bleiben.
Eine Apotheke, ein Rechtsanwalt, eine Firma für
häusliche Sicherheitssysteme, ein Kleiderhaus, das sich auf
>große und schwierige Größen< spezialisiert.
Ein Cafe, wo gutgekleidete ältere Leute auf der Terrasse im
warmen Sonnenschein sitzen und lachen und sich unterhalten.
Der Schmuckladen, den Rob erwähnt hat – Jewel of the
Ages: Der Stein der Ewigkeit –, glitzert und funkelt. Ich
betrachte die ausgestellten Stücke.
»Du bist erstaunlich«, bemerkt Rob ein wenig
zögernd. »Wenn ich dich so ansehe… Ich komme nicht
drauf, ob du das alles wiedererkennst, oder ob es dich so fasziniert,
weil es neu ist für dich.«
»Beides«, sage ich. Es ist wahr: Sobald ich einen Laden
erblicke, weiß ich, was er führt und wie die Schaufenster
aussehen werden, und dennoch habe ich keine persönliche
Erinnerung daran. Ehe ich nicht eine Puppe sehe, die gekleidet ist
wie Marie Antoinette, kann ich mir so etwas nicht im
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