In grellem Licht
Dateien herumliegen lassen, wenn sie Hausgäste haben.
Alte Steuererklärungen, Dokumente der ganzen Familie,
Vid-Bilder, Notizen für den Eigengebrauch.
»Wo kann ich Sie in ein paar Minuten erreichen? Wir
überprüfen natürlich den persönlichen Hintergrund
unserer Bewerber, bevor wir einen Vorstellungstermin fixieren. Auch
mit Empfehlung.«
Um Gottes willen, denkt sie, Meyerhoff empfiehlt mich für
eine Anstellung? Ich stammle: »Also… jetzt gerade bin ich
auf dem Bahnhof… Ich bin nicht von hier…«
»Bitte geben Sie mir diese Nummer.«
Ich gebe sie ihr, und sie verschwindet vom Schirm. Zehn Minuten
lang rutsche ich kribbelig auf einer Bank hin und her und sehe den
alten Leuten zu, die vorbeihoppeln. Zwei verknitterte alte Schachteln
Arm in Arm, die gackern und lachen wie Kinder. Was gibt es für die schon zum Lachen? Ein alter Tatterer mit einer Gehhilfe,
der sich zentimeterweise vorwärtsbewegt. Noch einer. Und nicht
einmal die ein, zwei jungen Männer, die vorbeikommen, drehen
sich nach mir um. Auszusehen wie eine junge Dame ist
stinklangweilig.
Das Vid klingelt, und ich mache einen Satz. »Ihr Lebenslauf
und Ihre Referenzen sind in Ordnung, Mrs. Clementi. Zufällig
brauchen wir umgehend eine neue Sekretärin. Könnten wir uns
vielleicht zum Abendessen treffen?«
Ich sehe nett drein und sprudle hervor: »O ja,
selbstverständlich, vielen Dank! Und wo?«
Sie gibt mir eine Adresse und den Termin, und nachdem ich eine
Stunde lang in einem VR-Salon, der nach den Marskolonien programmiert
ist, die Zeit totgeschlagen habe, nehme ich ein Taxi.
Das Restaurant ist klein, eines von diesen Lokalen, wo es
täglich nur drei verschiedene Speisen gibt, und der Koch
bereitet sie immer frisch zu. Ich betrete das Restaurant wie Laurie
Clementi, die ich bei einem Familienessen im Haus von Doktor Clementi
kennengelernt habe, und die alle behandeln, als wäre sie ein
kostbares Geschenk aus leicht zerbrechlichem Glas.
»Mrs. Clementi? Hier!«
Emily Jogerst ist vielleicht fünfzig, grobknochig, aber recht
gut aussehend und ähnlich gekleidet wie ich. Wie Maggie. Ihre
Augen sind Laser. Ich lächle schüchtern und lasse die
Serviette fallen und beiße mir auf die Unterlippe und sehe
überhaupt ziemlich aufgeregt und nervös aus. Wir
schwätzen Belangloses über die Speisekarten hinweg und
bestellen die Getränke. Ich frage nach einem Wein, den Nick
einmal servierte.
»Nun, kommen wir ein wenig zum Thema«, sagt Jogerst
freundlich. »Sie sind Mrs. John Clementi, und Sie brauchen
einen… Job.«
Beim Familienessen sah Laurie so grundehrlich und anständig
aus, daß ich sie am liebsten getreten hätte. Ich sage:
»Mrs. Jogerst, was ich brauche, ist… Ich kann kein Kind
bekommen. Und wir haben schon alles versucht.«
Falls sich dieses Gespräch wirklich um einen Job drehen
sollte, dann müßte Jogerst jetzt denken, ich sei
übergeschnappt. Aber sie sagt: »Sie waren in den letzten
drei Jahren in drei verschiedenen Kliniken für künstliche
Befruchtung.«
War ich? Also so viel weiß ich über Laurie
Clementi auch wieder nicht! Ich nicke.
»Sie und Ihr Mann sind keine reichen Leute«, stellt
Jogerst fest.
Ich beeile mich einzufügen: »Nein, aber mein Mann
ist…«
»Der Sohn von Doktor Nicholas Clementi. Und damit hat er eine
ansehnliche Erbschaft in Aussicht. Aber noch ist es nicht soweit, und
natürlich gibt es auch noch andere Erben.«
»Oh, aber mein Schwiegervater will uns auch jetzt schon
helfen! Er möchte ebensosehr ein Enkelkind wie John und ich ein
Baby!«
Jogerst nickt. »Ja, das wissen wir.« Wieso, zum
Geier? Sie fügt hinzu: »Weiß er, daß Sie hier
sind?«
»Nein.« Ich senke den Blick auf die Tischplatte.
»Ich wollte zuerst… Informationen einholen.«
»Und wie kommt es, daß Sie Mister Meyerhoff
kennen?« Sie schaut mich scharf an.
Ich hole tief Atem. Das ist mein Schwachpunkt. »Tut mir leid,
aber das kann ich Ihnen nicht sagen. Die Person, die mir den Namen
gab, hat mich darum gebeten. Sie ist eine alte Freundin von
mir.«
»Jemand, dem wir bereits helfen konnten?«
Ich sage nichts; genau das soll sie denken. Diese reichen Leute
müssen ihr eigenes Netzwerk von Mundpropaganda haben. Irgendwo
muß Laurie Clementi jemand kennen, der sich auf dem
Schwarzmarkt nach einem Kind umgesehen hat – auch wenn Laurie
nicht weiß, daß sie es weiß.
»Ich verstehe«, sagt Jogerst. »Nun, dann reden wir
doch als nächstes darüber, was wir für Sie tun
können – oder was Sie davon gehört haben.
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