In grellem Licht
Brennessel, und ich lache. »Ewig schade, Atuli. Sie
wissen nicht, was Ihnen entgeht. Aber Sie kommen trotzdem nicht
mit.«
Er starrt mich zornig an. Plötzlich wird mir klar, daß
er einfach so wütend bleiben muß, daß die Wut
ihn nährt wie Holz das Feuer. Das ist das erstemal, daß
ich etwas an ihm verstehe.
»Hören Sie«, sage ich, »machen Sie sich um
mich keine Sorgen. Außerdem gibt es etwas, das Sie hier
für mich tun müssen. Wenn ich Sie nicht innerhalb von
vierundzwanzig Stunden von jetzt ab anrufe, dann müssen Sie
hierher zurückkommen, und die ganze Geschichte Nick
erzählen. Er kommt an Bullen aus der oberen Ebene ran, wenn es
nötig ist – er hat es mir gesagt. Erzählen Sie ihm
alles. Aber nur, wenn Sie nichts von mir hören, okay?«
»Ja«, sagt er, aber wird er es tun? Kerle wie er rennen
normalerweise bloß davon, wenn sie in Panik geraten.
Bevor wir das Haus verlassen, schreibe ich eine Nachricht für
Nick und Maggie. Komme abens nich heim. Heise Nacht mit dollem
Kerl. Das werden sie glauben, ganz bestimmt, besonders Maggie.
Sie hält mich für eine Nutte. Schade, daß sie mich
nicht in ihrem faden blauen Kleid sehen kann.
An der zweiten Querstraße angekommen, keift Atuli mich an:
»Um Gottes willen, gehen Sie doch nicht so! Sie sollen aussehen
wie eine junge Ehefrau, nicht wie eine Nutte!«
»Ich weiß, wie ich aussehen soll, und ich weiß,
wie ich das zuwege bringe, wenn es an der Zeit dazu ist! Lassen Sie
mich zufrieden, zum Geier!«
Wir starren einander böse an, und auf einmal sagt er,
völlig überraschend für mich: »Shana. Seien Sie
vorsichtig.«
»Keine Sorge. Ich kann auf mich aufpassen. Ich rufe Sie
an.«
Er nickt und geht in die Gegenrichtung davon. Er hat wirklich
einen süßen Arsch. Was für eine elende
Verschwendung.
Ich gehe sittsam zur nächsten Bahnstation und steige in den
Zug nach Philadelphia.
Ist gar nicht so schwer, irgendwelche Leute zu finden, wie man
glauben möchte, auch in einer großen Stadt nicht. Nicht,
wenn man weiß, für welche Art von Leuten man sich
interessiert, und wenn man irgend etwas hat, mit dem man beginnen
kann.
Leute, die imposante Untergrundgeschäfte laufen haben,
brauchen imposante – und sichtbare – Aushängeschilder.
Die erklären dann die vielen Lkws und Besucher und den Rest.
Außerdem gibt es den örtlichen Bullen die Ausrede, sie
hätten nichts davon gewußt, daß da was Illegales
lief, falls man ihnen draufkommt, daß sie sich schmieren
ließen. Also benutze ich in der South Station ganz einfach das
Öffentliche Vid-Register. Es gibt zwei »E.
Jogerst.«
Ich rufe den ersten an. Ein alter Mann kommt online. »Kann
ich Emily Jogerst sprechen?«
»Keine Emily Jogerst hier. Bloß ich«, knurrt er
und löst die Verbindung. Okay. Versuchen wir den anderen
Code.
»Kann ich Emily Jogerst sprechen?«
»Darf ich fragen, worum es sich handelt?« fragt das
freundliche Holo mittleren Alters im strengen Kostüm. Hinter ihr
– ihm – befindet sich ein Büro: irgendein Büro
irgendwo oder bloß ein weiteres Holo.
Ich lasse meine Stimme sanft und ängstlich klingen: »Es
ist etwas… Persönliches. Ich komme von Mister
Meyerhoff.«
»Einen Augenblick.«
Es dauert. Sie verfolgen den Anruf zurück. Ich lasse die Hand
über mein Haar gleiten, um sicherzugehen, daß es immer
noch glatt nach hinten zu dem dämlichen Ballerinaknoten
verläuft. Menschenmassen strömen im Bahnhof an mir vorbei,
dessen hohe Decke so dreckverkrustet ist, daß sie sicher seit
fünfzig Jahren nicht gereinigt wurde. Aber vielleicht wurde sie
schon so gebaut.
»Hallo. Ich bin Emily Jogerst. Sie sind mit der Firma Martin,
medizinisches Zubehör, verbunden. Ist das der Anschluß,
den Sie gewünscht haben?«
Meyerhoff muß normalerweise wohl eine andere Nummer
benutzen. Sei vorsichtig. Ich schaue verwirrt drein und noch
ängstlicher. »Ich… das weiß ich nicht. Ich habe
die Nummer verloren, die Mister Meyerhoff mir gab, also habe ich
einfach im Register nachgesehen… Ich bin Laurie Clementi und bin
auf der Suche nach… einem Job.« Und dann halte ich den Atem
an. Falls es ein Codewort geben sollte, ist die Sache in die Hose
gegangen. >Job< ist das Beste, was ich zustande bringen konnte,
nachdem ich im Zug lange überlegt hatte. Damit konnte eine
Anstellung gemeint sein, eine Lieferung oder…
»Ich verstehe. Darf ich Sie um Ihre Identitätsnummer
bitten, Mrs. Clementi?«
Ich gebe ihr Lauries Nummer. Es ist erstaunlich, was die Leute so
in ihren
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