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In grellem Licht

In grellem Licht

Titel: In grellem Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Ich muß ihn doch ausquetschen
können, verdammt noch mal! Hol ihn rein!«
    Meine Beine sind noch da, ich sehe sie. Ich spüre sie nur
nicht, kann sie nicht bewegen. Shanas Waffe wird mir entwunden, und
jemand packt mich unter den Achseln und zieht mich ins Haus. Ich
verdrehe die obere Hälfte meines Körpers, um mich zu
wehren, aber ohne die untere Hälfte kann ich meine Kraft nicht
einsetzen. Also packe ich beide Seiten des Türstocks und stemme
mich dagegen.
    »Bring ihn rein, bring ihn rein!«
    Er kann mich nicht vom Türstock lösen. Ich halte mich
mit all jener Kraft fest, die ich beim Hochheben von Ballerinen
entwickelt habe.
    Halleck flucht, läßt meine Achseln los und drischt mir
mit voller Wucht seine verschränkten Fäuste in den
Bauch.
    Der Schmerz überrascht mich. Und ich kann nicht atmen, ich
bekomme keine Luft… Er zerrt mich ins Haus, und ich werde
ersticken, weil ich keine Luft bekomme… Ich kann nicht einmal
schreien, ich kann überhaupt nichts tun – etwas Schweres
fällt auf mich, und ich ringe so krampfhaft nach Luft, daß
es ein paar lange Sekunden der Todesangst dauert, bis ich merke,
daß das, was auf mir liegt, Halleck ist.
    Auf der Betonstufe vor dem Gebäude drängen sich die
Menschen, die Halleck von mir wegziehen und über mich hinweg ins
Haus springen und schreien. Und weitere Sekunden dauert es, bis genug
schmerzhaft eingesogene Luft meine Lunge füllt, so daß ich
die Geräusche identifizieren kann. Die alte grauhaarige Frau,
die Obszönitäten kreischt; die Leute hinter mir auf der
Straße, die durcheinanderbrüllen; der gefährlich
aussehende schwarze Penner, der sich über mich beugt.
    »Polizei, Atuli. Sind Sie verletzt?«
    »P… p… p…« Ich habe immer noch nicht
genug Luft zum Reden.
    »Ja, Polizei. Wir sind Ihnen gefolgt.«
    Ich muß verblüfft aussehen, denn er lächelt
widerstrebend und sagt: »Sind Sie denn nie auf die Idee
gekommen, daß Doktor Clementis Telefon überwacht werden
könnte? Sind Sie nicht ein bißchen zu naiv für diese
ganze Sache?«
    Shana wäre darauf gekommen. Shana hätte einen
öffentlichen Apparat benutzt, um John anzurufen. Shana…
    »Shana… Walders!« keuche ich. Meine Lunge
fühlt sich an, als wäre sie zerfetzt; jedes Wort schmerzt.
»Sie… Die haben sie! Die werden…«
    »Nein, werden sie nicht«, sagt der Bulle in grimmigem
Tonfall. »Nicht, wenn McCullough rasch genug redet.«
    McCullough – irgendwo müssen sie ihn erwischt haben.
Draußen oder hinten im Haus. Ich kann nicht fragen; ich kann
überhaupt nicht mehr reden. Der Bulle will mir auf die
Füße helfen, aber ich habe immer noch keine Beine.
Schließlich hebt er mich in seinen gewaltigen Armen hoch und
läßt mich auf das ausgesessene Sofa fallen.
    »Die Lähmung vergeht nach etwa fünfzehn Minuten.
Bis dahin bleiben Sie einfach da liegen.« Er verschwindet im
hinteren Teil des Hauses. Die Nutte im roten Rock – auch eine
Polizistin? – folgt ihm, und ein dritter Bulle geht zur
Vordertür hinaus und schließt sie hinter sich.
    Mit einemmal bin ich ganz allein.
    Nicht, wenn McCullough rasch genug redet. Ich lege mich
zurück, schließe die Augen und bemühe mich, nicht zu
denken, bemühe mich, mir nicht vorzustellen, was passieren
könnte, wenn McCullough ihnen die Adresse von Emily Jogersts
Operationsbasis in Philadelphia nicht gibt oder sie nicht
weiß… Lieber Gott, wird das nie ein Ende haben…?
    Ein Geräusch im Zimmer, gefolgt von einem kleinen Japsen und
rennenden Füßen. Ich öffne die Augen. Neben dem Sofa
steht ein kleines Kind, das mich mit einem dunklen, starren Blick
ansieht. Das Kind bin ich.
    Mein Gesicht, meine Augen, meine Haut. Aber das dichte Haar des
Kleinen ist schwarz und glatt, und er hat lange Stirnfransen, was ihm
ein leicht asiatisches Aussehen verleiht. Er trägt einen roten
Overall und ein T-Shirt mit blauen Häschen darauf. Wir starren
einander an, und mir bleibt das Herz stehen: Das Kind zieht die
Lippen zurück und entblößt kräftige, eckige
Affenzähne; es keckert laut und galoppiert durch das Zimmer, um
mit Hilfe seiner Menschenhändchen und der behaarten,
einwärts gerichteten Greiffüße die grünen
Vorhänge hochzuklettern.
    »Komm runter, verdammt!« ruft die
Prostituierte/Polizistin im roten Rock. Sie langt hoch nach dem
Schimpansen, der sie aus meinem Gesicht anzwitschert und
plötzlich auf sie springt. Er legt ihr die Arme um den Hals und
vergräbt den Kopf an ihrer Brust. Sie hält ihn fest an sich
gedrückt und verläßt eilig

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