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In grellem Licht

In grellem Licht

Titel: In grellem Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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ich mich den Korridor entlang
bis zu dem fensterlosen Raum, wo der Ausgang ist.
    Dort komme ich nie an. Plötzlich eine Explosion, und ich
werde zu Boden geschleudert. Menschen schreien. Und der Korridor
quillt über vor Bullen in voller Rüstung und mit
automatischen Waffen.
    Atuli. Ist zu Nick gegangen, der die Bullen in Gang gesetzt hat.
Atuli hat es tatsächlich durchgezogen.
    »Keine Bewegung!« schreit mich ein Bulle an, und ich
lege die Wange auf den harten Boden und danke meinem ererbten
irischen Glück, daß man der Ballettschwuchtel offenbar
doch nicht die ganze Männlichkeit abgeschnitten hat.

19
    NICK CLEMENTI
     
    ´s ist wie ein Löwe vor der Tür;
    die Tür geht auf nur einen Spalt,
    ein Stock dir auf den Rücken knallt,
    und wenn der Rücken voller Schmerz,
    dringt ein Messer dir ins Herz.
    Und wenn dein Herz dann blutigrot,
    dann bist du tot und tot und tot.
    Bloß war ich es nicht.
     
    »Es ist wie ein Wunder«, sagte Maggie, sagten die
Schwestern und sagten die französischen Ärzte, denen die
klinischen Tests unterstanden, voller Stolz, »wie ein
Wunder.« Und sie hatten recht. Ich hatte auf die noch im
Versuchsstadium befindlichen französischen Medikamente gut
angesprochen, und die Mukor-Mykose-Organismen in meinem Körper
starben folgsam ab. Die Faserstränge, die in mein Hirn und in
die Sehnerven gewachsen waren, hörten auf sich zu vermehren und
wurden zu nekrotischem Gewebe, das mit Hilfe von Phagozyten entfernt
werden sollte. Die bereits erfolgte Schädigung diverser
Nervenzellen konnte natürlich nicht repariert werden. Mein
Gleichgewichtssinn war etwas gestört; für den Rest meines
Lebens würde ich am Stock gehen. Das Sehvermögen war auf
beiden Augen beeinträchtigt, und auch meine Geruchsnerven hatten
gelitten; die Gerüche mußten schon intensiv sein, damit
ich sie wahrnahm. Aber ich würde nicht sterben.
    Es war wunderbar. Das sagten alle.
    Warum empfand ich dann dieses perverse Gefühl der
Traurigkeit, der Sinnlosigkeit? Tag für Tag saß ich in
meinem freundlichen französischen Krankenhauszimmer, sprach mit
Maggie, arbeitete mit den Computern für physikalische Therapie,
und wurde kräftiger und gesünder. Und von Tag zu Tag
wuchsen die Traurigkeit und die Sinnlosigkeit in meinem Gemüt
genauso unerbittlich wie einst die Mukor-Mykose-Fasern in meinem
Gehirn.
    Stress, sagten die Ärzte mit der unserem Jahrhundert
eigenen Entschlossenheit, alles den Neurotransmittern in die Schuhe
zu schieben. Depressionen. Anders gesagt, war ich deprimiert,
weil ich Depressionen verspürte, gestresst, weil ich unter
Stress stand. Niemand schien das erkannt zu haben.
    Ich wollte mehr.
    Was mehr, um Gottes Himmels willen? Was konnte ein Mann mehr
verlangen, als daß man ihm sein Leben zurückgab? Ein
größeres Geschenk existierte nicht!
    Sallie rief jeden Tag aus Atlanta an, Laurie aus Washington, und
einmal sogar Alana vom Mars. Alte Freunde sandten
Genesungswünsche. Und John rief an, sein gekränktes
Schmollen überdeckt von Sorge um mich – aber nicht sehr gut
überdeckt. »Ich habe deine Nachricht über die Sache
mit >Billy Mc-Cullough< bekommen, über das…«
    »Über etwas Vertrauliches«, unterbrach ich ihn
rasch.
    »Ja. Warum hast du mir nicht gesagt, daß du… das
tun wolltest?«
    »Ich wollte es für Laurie tun«, sagte ich. Ich
legte den Kopf auf das Kissen und schloß die Augen, aber Johns
Bild auf dem Vidschirm fuhr dennoch fort zu sprechen.
    »Du hättest es wenigstens mir sagen
können!«
    »Tut mir leid. Bist du zu McCullough gegangen?«
    »Nein, ich habe die Nachricht zu spät erhalten. Warum
hast du bei euch zu Hause angerufen, statt bei mir? Das wäre
doch das Naheliegendere gewesen.«
    »Weil ich starke Medikamente erhalten hatte.«
    »Oh. Hast du deshalb auch französisch
gesprochen?«
    »Ich habe zur Schwester französisch
gesprochen…« Aber es war zu anstrengend, das alles zu
erklären. Wenn John meine französisch sprechende Stimme auf
dem Beantworter gehört hatte, dann konnte das nur heißen,
daß die Schwester ein Aufnahmegerät bei sich gehabt und
meinen Auftrag einfach überspielt hatte. Das war allgemein
üblich bei hoffnungslosen Fällen, um später die
Sprachmuster zu analysieren und daraus auf die Hirnaktivität
schließen zu können. Deshalb hatte sie auch keine
Schwierigkeiten gehabt, die Telefonnummer richtig zu wählen.
    »Was mache ich also jetzt mit diesem McCullough?« fragte
John. »Dad, hörst du mir überhaupt zu?«
    »Nein«, sagte ich. »Ich bin

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