In guten wie in toten Tagen
das im Leben. Ich geb dir ein Bier aus, dachte Cara. Oder lad dich auf eine Gulaschsuppe ein. Mehr ist nicht. Mehr wird auch nicht sein.
Aber das würde Vitali ihr nicht glauben. Weil er es nicht glauben wollte.
Dachte Cara und fragte sich dann, ob das die ganze Angelegenheit schlimmer machte oder besser.
Scheißegal, dachte sie wieder. Helena saß im Gefängnis und Cara war die Einzige, die an ihre Unschuld glaubte. Wenn sie ihre Schwester aus dem Knast holen wollte, dann konnte sie nicht allzu viel Rücksicht auf Vitalis Gefühle nehmen. Der Zweck heiligt die Mittel, dachte Cara
Helena war in Schwierigkeiten und brauchte ihre Hilfe. Das allein zählte.
Sie fand bis zum Morgen keinen Schlaf mehr. Um sechs stand sie auf, duschte, trank einen Espresso und schlug die Zeit tot, bis es endlich acht war, dann rief sie Evi an.
»Was, du bist immer noch krank?«, fragte Evi und klang dabei längst nicht mehr so verständnisvoll wie am Tag zuvor. »Das ist aber blöd, wir haben total viel zu tun. Na ja, aber wenn’s dir nicht gut geht …«
»Tut mir leid.« Cara hustete.
»Hoffentlich geht’s dir morgen besser«, sagte Evi drohend. »Sonst brauchen wir ein Attest.«
Danach rief Cara Viola an, die erst nach dem achten Klingeln ans Telefon ging.
»Habe ich dich geweckt?«, fragte Cara schuldbewusst.
»Quatsch. Ich bin Frühaufsteherin. Ich hab geübt und mein Handy nicht gehört.«
»Können wir uns treffen?«
»Willst du vorbeikommen?«, fragte Viola zurück. »Mecklenburger Straße 4.«
Violas Mutter öffnete die Haustür und brachte Cara nach oben in die Einliegerwohnung, in der Viola Cello spielte. Die Musik drang durchs ganze Haus. Der Melodielauf, den Viola übte, brach immer wieder an der gleichen Stelle ab, um dann wieder von vorn zu beginnen. Auf dem kurzen Weg durchs Treppenhaus erklang die Tonfolge vier Mal, wahrscheinlich hatte Frau Schumacher sie an diesem Morgen schon hundertmal gehört. Aber das tat ihrer Begeisterung für ihre Tochter keinen Abbruch. »Spielt sie nicht einfach wunderschön?«, flüsterte sie Cara zu.
Sie hob die Hand und klopfte an die Wohnungstür, aber Viola hörte sie nicht. Sie übte ihre Melodie bis zu dem Takt, an dem sie immer scheiterte. Dann klopfte Frau Schumacher noch einmal und Viola machte auf.
»Das ging ja schnell«, sagte sie. »Komm rein.«
»Möchtet ihr einen Tee?«, fragte Frau Schumacher. »Ich mach euch gerne einen. Grün, schwarz, Pfefferminz, Rooibusch oder Kamille? Ich hab alles Mögliche da.«
»Danke, Mama.« Viola zog Cara in die Wohnung. »Ich hab auch Teebeutel oben, wir kommen schon zurecht.« Sie klappte die Tür zu, lehnte sich von innen dagegen und schloss einen Moment lang die Augen und sah aus wie eine Madonna auf einem Renaissance-Gemälde. Eine genervte Madonna.
Cara sah sich um. Die Zimmertüren standen offen und gaben den Blick in zwei große Räume frei. Helles Laminat bedeckte den Boden, die Wände waren eierschalenfarben lasiert. Vor den Fenstern dezent gestreifte Vorhänge. An den Wänden Wechselrahmen mit Kunstdrucken. Sonnenblumen von Van Gogh, ein Seerosenteich von Monet. Hier sieht’s aus wie in einem Hotel, dachte Cara. Sauber, freundlich. Total unpersönlich.
»Ist das deine Wohnung?«, fragte sie.
»Nee, die gehört meinen Eltern. Aber sie steht gerade leer, also üb ich hier, wenn ich zu Hause bin.« Viola zog eine Grimasse. »Na ja, im Grunde wäre es meiner Mutter am liebsten, wenn ich hier einziehen würde. Aber das mach ich nicht. Ich bin doch nicht …« Sie unterbrach sich, schüttelte den Kopf und ging in den linken Raum. Vor einem weißen Ledersofa stand Violas Cello, davor ein Notenständer. Die hintere Wand des Raumes nahm eine chrom-glänzende Einbauküche ein.
»Was ist jetzt mit Tee? Magst du eine Tasse? Ich hab allerdings nur Schwarztee. Wenn du was anderes willst, musst du runter zu meiner Mutter.«
»Nee danke. Ist schon okay.«
»Falls du eine Wohnung brauchst … Meine Eltern suchen einen Mieter.«
»Im Moment nicht«, sagte Cara und stellte sich vor, wie das wäre. Wenn sie bei ihrer Mutter aus- und hier einziehen würde. Und war überrascht, wie gut ihr die Vorstellung gefiel. Ein Neuanfang in einer neutralen Umgebung. Allerdings war die Miete bestimmt nicht billig. Mit ihrem mageren Ausbildungsgehalt ließ sich das sicher nicht finanzieren.
»Was gibt’s Neues von Helena?«, fragte Viola.
»Sieht nicht wirklich gut aus. Sie bleibt erst mal in U-Haft. Ich hoffe, dass ich sie bald besuchen
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