In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten
Ansicht nach früher oder später bestimmt noch eine Erklärung finden würde, als von der Frage, wie sie eine weitere samstägliche Runde ohne ihn überstehen sollte.
Das Gespräch blieb allgemein und uninteressant; das sind Gespräche meistens, wenn sie allgemein bleiben. Ich wartete darauf, dass jemand Ryvold erwähnte, aber niemand kam auf ihn zu sprechen. Ich schaute Mutter an. Ärgerte sie seine unentschuldigte Abwesenheit? Machte es ihr überhaupt etwas aus? Sie wirkte kein bisschen aufgebracht; wenn überhaupt, schien sie sogar eher Vergnügen an der Situation zu finden. Doch ihr Interesse schwand, je mehr Zeit verging. Längst fühlten sich alle unbehaglich, und das nicht nur, weil ich das gewohnte Zeitmaß überschritt, nein: Sie vermissten Ryvold. Es machte ihnen zu schaffen, dass sie nicht wussten, wo er war oder wann er zurück sein würde – und bald ließ sich nicht länger übersehen, dass er ihnen fehlte, wussten sie doch nicht, wie sie sich in seiner Abwesenheit benehmen sollten. Ohne Ryvold, der den Ton vorgab, hatte jeder Angst, er könnte etwas Dummes sagen oder tun. Und doch hielten sie stur daran fest, sich so zu benehmen, als geschähe nichts Ungewöhnliches. Irgendwann hielt ich es nicht länger aus. Ich wandte mich an Mutter und fragte fast beiläufig: » Wo wohl Herr Ryvold bleibt?«
Sie wirkte überrascht. Einen Moment lang musterte sie mein Gesicht, als versuchte sie, sich etwas zusammenzureimen, dann schüttelte sie den Kopf. » Das weiß niemand«, antwortete sie. » Er ist einfach wie vom Erdboden verschwunden.« Sie lächelte. » Seltsam, nicht?«, sagte sie dann ebenso zu den Freiern wie zu mir, auch wenn sie eigentlich mit keinem von uns redete. Sie hatte meine Frage als Provokation aufgefasst und amüsierte sich königlich.
Die übrigen Teilnehmer der Teeparty waren jedoch alles andere als amüsiert. Nach Mutters Bemerkung fühlten sie sich sogar noch unbehaglicher als zuvor. Niemand sagte etwas, niemand blickte mich an, und ein langes Schweigen folgte – einer jener Augenblicke, zu dem die Franzosen sagen: un ange passe, ein Engel geht durchs Zimmer. Allerdings nehme ich an, dass diese Redewendung ein eher natürliches, unbesorgtes Schweigen meint, nicht diesen verlegenen Hiatus, der andauerte, bis Rott die Stille brach, sich abrupt vorbeugte, sichtlich getrieben vom Verlangen nach der letzten Cremeschnitte, die einsam mitten auf dem Tisch stand, behutsam mit Daumen und Zeigefinger nach dem Kuchenstück griff und es mit einem kleinen, fast unhörbaren Seufzer auf seinen Teller lud.
***
Die Teeparty zog sich noch hin, als ich ging, doch konnte ich mir nicht vorstellen, dass sie noch viel länger dauerte. Mutter langweilte sich, war aber eine viel zu höfliche Gastgeberin, um es ihre Gäste merken zu lassen, obwohl sie nichts lieber wollte, als dass sie endlich gingen, damit sie zurück ins Atelier konnte. Da hatte ich bereits begriffen, dass es sie überraschte, wie sehr ihr Ryvold fehlte, und im Nachhinein glaube ich, dass sie sich zu fragen begann, warum sie sich überhaupt mit diesen Samstagsveranstaltungen abgab. Sie waren angenehm gewesen, solange Ryvold sie besuchte; ohne ihn verliefen sie zäh und unerfreulich. Und ich denke, das hat sie wirklich überrascht. Es hat sie überrascht, dass sie sich in einem ihrer Lebensbereiche, und mochte er noch so nebensächlich sein, auf einen anderen Menschen zu verlassen gelernt hatte.
Was mich betraf , hätte ich gern mehr darüber gewusst, was hier vor sich ging, doch war offensichtlich, dass ich an Mutters Tisch nichts weiter erfahren würde, also entschuldigte ich mich und zog los, um Martin Crosbie und seinem Mädchen nachzuspionieren. Ich hatte geglaubt, sie bei einem Spaziergang am Strand anzutreffen oder dabei, wie sie auf dem Rasen vor dem Bootshaus saßen, Tee tranken oder Eiscreme aßen, doch als ich zu den Wiesen kam, wirkte die Hytte verlassen. Martins Wagen stand nicht an seinem üblichen Platz, und es war keine Spur von Leben zu sehen; nur einige Meeresvögel schwebten über die Wiesen heran und wieder fort, weit über den Strand hinaus. Ich fragte mich, ob Martin mit Maia einen Ausflug machte, vielleicht nach Andøya; vielleicht aber unternahmen sie auch die Fahrt nach Norden, von der er letztens geredet hatte. Es war ein grauer, doch trockener Tag, und ich erinnere mich, mir der Wirkung bewusst gewesen zu sein, die ich an gewissen Spätsommernachmittagen so genieße, dieses Gefühl, das Land teile sich in
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