In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten
deutlich verschiedene Licht- und Dunkelbereiche: hier dunkle Schatten, dort ein unwirkliches Glimmen, ein fast schwarzer Streif am schmalen Bach, der am Rand von Kyrres Feld verlief und zum Strand hinabsickerte, ein fahler Schimmer, der sich durch das Gras rund ums Bootshaus zog, dort, wo die Weide in Strandkies überging. Derartiges entsteht manchmal an Tagen, an denen keine Sonne scheint und die Wolkendecke hoch, aber dünn ist, weshalb die ganze Welt wie eines von Mutters Gemälden aussieht oder wie die Landschaft in einem Film aus den fünfziger Jahren. Es ist, als wüsste das Land sich nicht zu entscheiden, ob es Farbe oder Schwarzweiß auftun soll, weshalb es sich damit abfindet, weder das eine noch das andere zu tragen.
Die Wiesen im Spätsommer habe ich schon immer geliebt, wenn die Wildblumen in Blüte stehen, fast alle gleichzeitig, und wenn Pflanzen, Schmetterlinge, Watvögel, die Scharen der kleineren Tiere, der Insekten, wenn alles, was hier lebt, eilig wächst und sich vermehrt, ehe die Kälte zurückkehrt. Diesen kurzen Sommern haftet etwas Wunderbares an, der Art und Weise, wie das Leben fortbesteht, wie es genügend Fett zulegt, genügend Samen hortet, um eine weitere dunkle Zeit zu überdauern. Alles arbeitet zusammen, nichts geht verloren. Hin und wieder überrascht mich allerdings immer noch die Vorstellung, welche Arbeit sich Mutter damit macht, große, protzige Blumen in ihrem inneren Garten anzupflanzen – Pfingstrosen und Rittersporn, die, kaum an der Südwand aufgeblüht, schon wieder vergehen, schwarzäugige Susanne und Margeriten, die alle paar Wochen erneuert werden müssen – ich kann nicht glauben, dass sie sich damit solche Mühe gibt, wo doch die Wiesen um uns herum voll Wildblumen und Gräser stehen, die hierher, an diesen Ort, gehören. Ich fände es vielleicht verständlicher, wenn der Garten in ihrer Kunst eine Rolle spielte, doch von dem einen oder anderen Aquarell einmal abgesehen taucht nur die Landschaft außerhalb unserer Grundstücksgrenzen in ihren Bilder auf, die Welt von Wind, Salzwasser und Felsen zersprengender Fröste, die sie so angestrengt aus dem halben Morgen Garten fernzuhalten versucht, der unser Haus umgibt. Ich weiß nicht, warum: Für mich ist der Garten wie ein zusätzlicher Raum, ein äußeres Sonnenzimmer, dessen Dekor allein durch endlose Ausgaben und gewissenhafte Arbeit erhalten werden kann. Dabei sieht es Mutter gar nicht ähnlich, derart verschwenderisch zu sein. Selbst im Sommer sterben immerzu Pflanzen und müssen erneuert werden, während im Winter fast alles abstirbt und nur wenig von dem, was einen Sommer überlebt, schafft es auch über den nächsten. Und als Mutter nach einem Emblem für einen ihrer Kataloge suchte, entschied sie sich für den arktischen Mohn, für jene Blume also, von der sie in Ausstellungskommentaren und vor neugierigen Journalisten oft behauptet hat, sie sei ihre Lieblingsblume. Eine Pflanze, die hierhergehört, in ihrem überkultivierten Garten aber vermutlich nicht bestehen könnte; eine Pflanze, die im Freien lebt und beständig den Kopf dreht, stets der Mitternachtssonne nach, dort draußen auf einem Flecken Moos und Steine, irgendwo auf der Finnmarksvidda. Diese Frau ist, wie Ryvold zu sagen pflegte, ein Sammelsurium von Widersprüchen – nur bin ich mir nicht sicher, ob er recht hatte, wenn er hinzufügte, dass wir sie deshalb lieben.
Ich will damit jedoch nicht andeuten, dass mir der Garten nicht gefällt. Natürlich ist er schön, und oft ertappe ich mich dabei, wie ich einen Liegestuhl hinaus in den Steingarten trage, um mitten zwischen den Farben und Gerüchen zu sitzen, die Mutter so mühselig heraufbeschwört. Nur bin ich lieber draußen auf den Wiesen, wo der Salzwind vom Meer herüberweht, bei den Vögeln, den Wolken, dem weiten Horizont. Für meinen Geschmack ist Mutters Garten zu geschützt. Zu geschützt und zu behütet, umschlossen vom Birkenwald und von den behauenen Steinen, die an der Nord- und Westseite aufragen. Man kann nicht ins Weite sehen – oder dort, wo man es kann, kommt es mir wie eine gewollte Illusion vor, ein geplanter Ausblick. Im Freien drehe ich mich um und sehe die ganze Welt, wie sie sich bis zum Horizont erstreckt, während ich mich selbst wie im Auge des Himmels fühle.
Ich konnte alles um mich herum sehen, nur Maia sah ich erst, als es schon fast zu spät war. Da Martins Auto nicht vor der Hytte stand, hatte ich angenommen, Maia sei gleichfalls fort, doch dann sah ich sie, als
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