In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten
hatte.
Mittlerweile schien der Sommer – der echte Sommer – zu Ende zu gehen. Der warme, dramatische und zugleich fast wundersame Sommer verging, Tag um Tag, und ich wollte keinen Augenblick von dem verpassen, was noch übrig war. Ich wollte in den Wiesen spazieren, wollte im Birkenwald sitzen, wenn die Nachtdämmerung aus seinem Innern troff; ich wollte am Strand stehen und den großen Schiffen nachsehen, die langsam über das offene Meer dahinglitten; ich wollte nach Hillesøy fahren und zwischen den Felsen Kråkebolle sammeln oder Moltebeeren, dort, wo es sich manchmal anfühlte, als wäre dies der Rand der Welt, einsam, still bis auf die Watvögel und einer gelegentlichen Windbö. Ich wollte nicht drinnen, wollte nicht mit Menschen zusammen sein. Und ganz gewiss wollte ich nichts mit Martin Crosbie zu tun haben. Jedenfalls zu Beginn nicht. In diesen wenigen, ersten Tagen hielt ich mich von der Hytte am Strand fern und tat alles, um ungesehen zu bleiben – und unfotografiert –, und ich spionierte nicht. Dann aber sah ich ihn, unerwartet, ungeplant. Ich nehme nicht an, dass ich geglaubt hatte, ihm auf immer aus dem Weg gehen zu können, und es hätte mich nicht weiter überrascht, wäre er allein gewesen, aber er war nicht allein, er war mit der Huldra zusammen – und ich merkte gleich, dass sie zusammen waren. Es war lächerlich, dass er und Maia sich gefunden hatten, lächerlich, wie schnell es gegangen war – doch sobald ich sie sah, wusste ich, dass es stimmte. Sie waren draußen auf den Wiesen, gingen nebeneinander, berührten sich nicht, waren aber auf unverkennbare Weise zusammen, so wie welche von der Schule zusammen waren, als ein Pärchen, das man in Tromsø auf der Straße sah, wo sie sich nicht berührten, nichts taten, aber zusammen waren, in dem eigenen, nur ihnen gemeinsamen Raum. So wirkten auch Martin und Maia auf mich, als ich sie an jenem Tag sah. Ich wusste damals nicht, wie lang sie schon in ihrer separaten Welt lebten, doch war es unübersehbar etwas Neues, etwas, was Martin noch glücklich machte und verwirrte, er, der zweifellos über jene Schicksalswende staunte, die ihn mit diesem schönen, seltsamen Mädchen aus dem Norden zusammenbrachte, was er bestimmt nie erwartet und nicht einmal zu hoffen gewagt hatte. Ja, diese Affäre war neu: Sie begann an ebenjenem Tag, an dem ich nach England fuhr. Von diesem Moment an war sie aufgeblüht.
***
Aufgeblüht. Vielleicht nicht das richtige Wort, doch haftete ihrer Beziehung eine gewisse Unvermeidbarkeit an, ganz so, als würde sich eine Blüte öffnen. Sagen wir eine Rose oder eine von Harstads arktischen Mohnblumen, die den Kopf immer zur Sonne ausrichten. Sobald ich sie zusammen sah, wusste ich, dass etwas vor sich ging – was seltsam war, da sie wirklich nichts taten, was Liebende tun, wenn sie sich allein glauben. Sie berührten sich nicht, blieben nie irgendwo am Strand stehen, um sich zu küssen oder einander bedeutungsvoll in die Augen zu schauen, und es gab zwischen ihnen eine Distanz, eine so korrekte, so überaus präzise Distanz, dass man hätte meinen können, sie hätten sie zuvor ausgemessen. Als ich sie dieses erste Mal zusammen sah, konnte ich erkennen, dass Martin redete, beim Gehen hin und wieder den Kopf drehte, um Maia anzuschauen, und sie drehte sich hin und wieder zu ihm hin, sah ihm aber nie direkt ins Gesicht, wandte sich dann ab und schaute über den Fjord. Dabei wich sie ihm nicht aus, wirkte vielmehr zufrieden: glücklich vielleicht, jetzt hier zu sein, glücklich und sogar hoffnungsfroh. Und es war schon beinahe rührend mit anzusehen, wie selig Martin Crosbie war, der da den Strand entlangging mit diesem hübschen Mädchen, das eines der Mädchen aus seiner Bilderkartei hätte sein können, frisch aus der Schule, gewärmt von der Sommersonne, die schöne Unschuldige seiner einsamen Fantasien. Damals dachte ich nicht, was ich zuvor einmal über ihn gedacht hatte. Ich räumte ihm den Vorteil des Zweifels ein, da ich in diesem Augenblick begriff, dass sich etwas in ihm verändert hatte. Natürlich fragte ich mich, ob sie miteinander schliefen, aber nur kurz. In der Hytte damals, als ich die Bilder fand, hatte ich geglaubt, sein Interesse an den Mädchen sei schlicht sexueller Natur, nur war ich mir jetzt nicht mehr sicher. Sie wirkten so unschuldig, so – romantisch. Und ihm gönnte ich den Vorteil des Zweifels, weil er so verliebt aussah – als könnte ein verliebter Mann nicht gefährlich werden, als
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