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In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

Titel: In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burnside
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versetzte, der jenem Zustand nicht unähnlich ist, in den sich Meditierende versetzen können, eine Art körperliches Schweben, das mit einer erhöhten Aufmerksamkeit für die subtilsten Details bei Klängen und Farben einhergeht. An solchen Tagen saß ich stundenlang in meinem Zimmer oder im Sessel auf dem Treppenabsatz, tat nichts, dachte an nichts und war frei von jeglichen Vorsätzen. Ja, selbst die Frage, was ich mit meinem Leben anfangen wollte, kümmerte mich nicht, wenn ich Teil dieser abstrakten Strömung von Aufmerksamkeit war, die nicht nur mich, sondern alles um mich herum erfasste. Ich hörte nicht dem Regen zu, ich hörte gar nichts und achtete auf nichts, fand mich selbst in dieses Geräusch aber eingeschlossen, war untrennbar von ihm und auch von allem, was es erfasste und formte – und dann, plötzlich, nach drei, vier Stunden, in denen sich nichts auf irgendeine spürbare Weise geändert hatte, musste ich aufstehen und nach draußen vor die Tür, egal, wie stark es regnete. Es war keine Ruhelosigkeit, die mich hinauszog, keine Ungeduld mit dem Wetter, eher ein Gefühl, bis zum Überquellen angefüllt zu sein, nach draußen gehen und etwas von dieser Spannung ableiten zu müssen, die sich in meinen Händen und hinter meinen Augen aufgebaut hatte. Saß ich eben noch im Sessel mit einem ungelesenen Buch im Schoß, lief ich im nächsten Augenblick bereits in Mantel und Stiefeln die Treppe hinab, ohne mich erinnern zu können, etwas entschieden zu haben, und der Wind blies mir durch die offene Tür den frischen, kalten Geruch nach Regen ins Gesicht.
    So war es auch, einige Tage nachdem Kyrre mir von Harald erzählt hatte: Ich hatte den ganzen Vormittag dagesessen und einem Regen zugehört, der nie mehr enden zu wollen schien, hatte es dann nicht länger ausgehalten, mir den Mantel angezogen und war hinaus in die nasse Welt und über die Wiesen hinab zum Strand gelaufen. Ich glaube, ich habe an Mutter und Frank Verne gedacht, vielleicht auch an das, was den Jungen der Sigfridssons passiert war, weshalb ich Martin Crosbie erst im allerletzten Augenblick entdeckte. Seit unserem Gespräch hatte ich ihn zwar dann und wann über die Wiesen spazieren sehen, trotzdem aber kaum mehr einen Gedanken an ihn verschwendet, und ich muss gestehen, dass ich an jenem Tag, als ich in dem dichten, herrlichen Regen ans Meer lief, fast vergessen hatte, dass es ihn gab. Folglich war ich ziemlich verblüfft, als ich aufblickte und ihn da mitten auf dem Weg stehen sah – und ich spürte, dass es ihn amüsierte, mich wieder einmal überrascht zu haben. Er ließ sich seine Gefühle anmerken, begriff dann aber, oder meinte doch zu begreifen, dass irgendwas nicht stimmte, woraufhin sich seine Haltung änderte. » Hallo«, sagte er. Ich erwiderte seinen Gruß, obwohl ich eigentlich keine Gesellschaft wollte. Martin Crosbie lächelte, doch nahm ich in diesem Lächeln zu viel Mitgefühl wahr, zu viel vermeintliche Kameraderie. » Was treiben Sie nur hier draußen in diesem Regen?«, fragte er.
    » Dasselbe könnte ich Sie fragen.«
    Das ließ ihn erneut lächeln. Ich dachte, wäre ich ein wenig mädchenhafter gewesen, hätte ihm das besser gefallen. Etwas kindlicher. Er wollte jemand Jüngeren, damit er sich entsprechend benehmen und sich für erwachsen halten konnte. Das dachte ich damals jedenfalls. » Ach, mir macht der Regen nichts aus«, sagte er. » Ich freue mich fast darüber.«
    » Wirklich?«
    » Er erinnert mich an zu Hause.« Martin Crosbie lächelte. » Außerdem bin ich dieses Licht noch nicht gewohnt. Ich habe nicht geahnt, dass ich so viel wahrnehmen würde; es ist wirklich überwältigend.«
    » Tja«, erwiderte ich, zurück auf vertrautem Terrain. » Dass Sie schlecht schlafen, hab ich ja schon bei unserer letzten Begegnung vermutet.« Ich dachte daran zurück. War er damals betrunken gewesen? Übermüdet? Ein wenig von beidem? » Das Problem ist hier nicht gerade selten.«
    Er schien verwirrt. » Welches Problem?«
    » Schlaflosigkeit.«
    » Ach was«, sagte er und wirkte ehrlich überrascht, obwohl offensichtlich war, wie schlecht er schlief. Ich sah es seinen Augen an. » Nein, das ist es nicht. Ich schlafe schon, jedenfalls hin und wieder, aber selbst wenn es mir gut geht, schlafe ich nicht besonders. Ruhe bekomme ich zumindest genug. Nur …« Er brach ab und blickte zum Himmel auf. » Ich weiß nicht. Es ist so seltsam. Dieses Licht. Dabei habe ich Bescheid gewusst. Habe es sogar erwartet. Nur eben anders.«

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