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In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

Titel: In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burnside
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Sensibilität und einer verstörten Zuneigung zu zwei traurigen weißblonden Jungen, von deren Vorhandensein ich bis zu diesem Augenblick nichts geahnt hatte.
    ***
    Mutter war nicht die Einzige, die kein Wort mehr über die Jungen der Sigfridssons verlieren wollte. Sicher, die Leute redeten über die Ereignisse jenes Sommers, fragten sich laut, wie es zu einer solchen Tragödie kommen konnte, doch hielten sie sich nie lang mit diesem Thema auf. Sie schufen in ihren Leben Raum für unerklärliche Ereignisse, allerdings nur gerade genug, um dieses Rätsel dort unterzubringen und es dann, versehen mit einem Quäntchen Trauer und dem, was den Jungen vielleicht sonst noch gebührte, wieder zu vergessen. Natürlich handelte es sich nicht um die übliche Art des Vergessens: Irgendwas war immer da, dort am äußersten Rand ihres Bewusstseins, so wie der Friedhof am Rand der Stadt liegt, die Grabsteine in ordentlichen Reihen aufgestellt, Namen und Daten in Goldbuchstaben gefasst und auf diese Weise in den nicht durch erzählen zu erfassenden Raum jüngster Geschichte verbannt. Der Einzige, der von dem Vorgefallenen nicht lassen konnte, war Kyrre Opdahl – die Jungen seien geholt worden, sagte er; in dieser Sache sei noch nicht das letzte Wort gefallen; es sei das Werk der Huldra – soweit ich wusste, trug er diese Theorie allerdings niemandem vor außer mir. Er sagte nicht, wer die Huldra war, auch wenn ich glaube, dass er damals längst zwei und zwei zusammengezählt hatte. Und was mich selbst betraf, so dachte ich nur, das sei eben typisch Kyrre. Nichts von dem, was er sagte, erklärte das Geschehene, weshalb ich für mich immer noch nach Antworten suchte. Ich hatte Maia mit den Jungen gesehen, aber das könnte bloßer Zufall gewesen sein, und selbst wenn es keiner gewesen war, machte ich mir zu jenem Zeitpunkt eher Sorgen um Maia, als dass ich mich vor ihr gefürchtet hätte. Mir war zu Ohren gekommen, dass sie nach Haralds Tod von zu Hause fortgelaufen war und sich irgendwo da draußen herumtrieb; und die Fragen, die mich plagten, drehten sich um die gewöhnlichen Tatsachen ihres alltäglichen Lebens. Wo war sie? Wo schlief sie? Was aß sie? Womit verdiente sie Geld? Ich konnte mir ungefähr denken, warum sie aus dem Haus ihrer Mutter fortgelaufen war, nur wohin, das blieb ein Rätsel. Dass ihr jemand ein Bett oder eine Mahlzeit anbot, fand ich unvorstellbar. Dass sie jemand bei sich aufnahm, konnte ich mir ebenso wenig vorstellen. Nur einen weiteren Tod durch Ertrinken, den fand ich vorstellbar. Ihren. Ich konnte mir auch einen dummen Todespakt unter Teenagern vorstellen, den zwei leicht zu beeinflussende Jungen und ein verwirrtes, ungeliebtes Mädchen eingegangen waren, und nun, nach dem Tod der beiden Jungen, stellte ich mir vor, wie Maia irgendwo an der Küste im Fjord trieb und die Flut erneut ein gestohlenes Boot umspülte, das Kilometer weit fort, leer, nahezu reglos, auf dem Meer dümpelte, ein Meer, so still und ungestört wie die Oberfläche eines leeren Spiegels.
    ***
    Es gab Sommer, in denen staunten Kyrre Opdahls Gäste darüber, wie warm es hier oben im eisigen Norden werden konnte. Sie kamen mit Pullovern und Thermosocken, erwarteten ein kaltes, karges Land – und waren enttäuscht, wenn sie sich am Strand in T-Shirt und Sandalen spazieren gehen oder in der Tiefkühltruhe im Geschäft in Straumsbukta nach Himbeereis suchen sahen. Für uns war das anders. Unsere Winter waren dunkel und lang, weshalb wir uns oft schon weit vor Frühlingsbeginn wie unter Hausarrest fühlten . Stieg aber das Thermometer auf zwanzig, gar dreißig Grad, und das Land zwischen Strand und Wiesen war mit Enzian und Jåblo m übersät, fiel es uns sogar nachts schwer, im Haus zu bleiben. Manchmal schien die Welt da draußen so weit und hell und die Erinnerung an die winterliche Dunkelheit so stark, dass wir einfach hinausgehen und an den Strand oder über die Wiesen laufen und uns den Kopf mit Licht füllen mussten. Daheimzubleiben und zu lesen oder fernzusehen, das wäre, als säße man im Foyer eines Theaters und läse das Programm, während nur wenige Schritte entfernt auf einer hell erleuchteten Bühne das Stück aufgeführt wurde.
    Manchmal – manchmal aber regnete es auch tagelang ohne Unterbrechung. Manchmal regnete es so heftig, dass ich hören konnte, wie die Regentropfen vom Dach abprallten, ein monotones, doch seltsam angenehmes Geräusch, das mich einlullte, nicht unbedingt in den Schlaf, aber doch in einen Wachdämmer

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