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In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

Titel: In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burnside
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beunruhigte mich. » Aber warum sollten Sie das wollen?«
    Er wandte sich wieder mir zu – und wechselte im selben Moment in eine andere Gemütsverfassung, in eine Art duldsame Normalität. » Tut mir leid. Ich rede Unsinn. Das mache ich ziemlich oft.«
    Ich schüttelte den Kopf. Er gab sich tapfer, aber ich merkte ihm an, wie verschreckt er war. Natürlich fand er das peinlich, nur gab es da was im Hintergrund, und weil er es spürte, musste er es kleinreden. Dieses Gefühl kannte ich, auch wenn es für mich sicherlich leichter zu ertragen war. Meist hatte es mit Hören zu tun – im heftigen Wind hört man draußen auf den Wiesen oder am Strand alles Mögliche. Stimmen, die aus der Nähe rufen, seltsam flüchtige Tierlaute im Gras; ein weinendes Baby nur einen Steinwurf weit entfernt in einer Sandverwehung oder tief im Schatten, dort, wo man es nie finden würde, wie lang und angestrengt man auch danach suchte. Manchmal hörte ich diese Geräusche tagelang; manchmal drangen sie während einer dieser weißen Nächte sogar ins Haus und weckten mich plötzlich aus meinem Halbschlummer – am lautesten aber waren sie unten am Strand, da, wo die Hytte auf ihrer in den Fjord hinausragenden Landzunge steht, ein Ort, der sich für Seeschwalben und Austernfänger eher eignet als für eine menschliche Behausung. Ich konnte mir denken, dass er da unten allerhand hörte, im Wind und in der Stille, wenn der Schlaf nicht kommen wollte und es ihm um drei Uhr morgens im Sommerlicht gelang, sich einzureden, dass er bestimmt nie wieder schlafen würde. Es würde Zeiten geben, in denen er wirklich glaubte, dass er eine schauderhafte Kreatur mit eigenem Leben, eigenen Absichten hörte; selbst in jenen hellen, klaren Nächten, die in Touristenbroschüren so idyllisch beschrieben werden, ließ sich ein merkwürdiges Rascheln hören, ein fernes Pfeifen, ein unbestimmter Gesang draußen über dem Wasser. Ich habe mein Leben lang hier gewohnt und bin mir nun sicher, dass ich nie mehr fortziehen werde, doch manchmal erwischt es mich immer noch. Es gibt Nächte, in denen ich zutiefst davon überzeugt bin, nie wieder schlafen zu können, und ich höre Geister am Fenster, die meine Verdammnis herbeisingen. Ich weiß nicht, was ich ohne sie anfangen würde. » Sie müssen auf sich Acht geben«, sagte ich. » Ehrlich, es braucht eine Weile, sich an diese weißen Nächte zu gewöhnen.«
    Er stieß ein kurzes, hartes Lachen aus, dann machte er eine abwehrende Geste. » Ach was, mir geht es gut. Ganz bestimmt. Ich war schon immer ein wenig …« Er dachte einen Moment nach, gab dann aber auf, die richtigen Worte zu suchen. Er lächelte. » Langweilen Sie sich denn nie?«, fragte er. » Viel zu tun gibt es hier doch nicht …«
    » Nein, ich langweile mich nie.«
    » Und was tun Sie dann so?« Er strahlte – ein gezwungenes, künstliches Strahlen. » Bestimmt haben Sie irgendwo einen Freund, oder?«
    Ich schüttelte den Kopf. » Nein«, sagte ich. » Haben Sie eine Freundin?«
    Er lachte – und da wirkte sein Strahlen beinahe echt. » Tja«, sagte er. » Wir können hier nicht endlos herumstehen und nass werden. Warum kommen Sie nicht auf eine Tasse Tee zu mir?«
    » Geht nicht«, sagte ich. » Vielleicht ein andermal.«
    » Ach, bitte«, beharrte er. » Ich habe auch Kuchen.« Er lächelte immer noch, doch lag ein Ernst in seinem Blick, der mich ins Schwanken brachte. Natürlich wollte ich keinen Tee mit ihm trinken. Allerdings war ich mir in diesem Moment nicht mehr sicher, was ich eigentlich von ihm hielt: Da war eine Abneigung, gewiss, nur konnte ich nicht leugnen, dass ich mich zu fragen begann, ob er nicht doch ein lohnendes Objekt für meine Beobachtungen wäre. Ich glaube, schon damals spürte ich, dass da etwas in seinem Charakter war – ein eigenartiger Makel, womöglich auch ein extremes Begehren, eine Sentimentalität, die er nur verbergen konnte, weil sie so unwahrscheinlich schien – und das interessierte mich. Interessierte mich immerhin so sehr, dass ich nachzugeben begann, nicht ihm, doch einer möglichen Geschichte. » Na ja«, sagte ich, » lang bleiben kann ich nicht …«
    » Das macht nichts«, sagte er , und es war nicht zu übersehen, wie sehr er sich freute, dass ich seine Einladung angenommen hatte. Er gestattete sich sogar ein leises, glückliches Lachen, trotzdem spürte ich, dass da noch mehr war. Einsamkeit vielleicht oder Angst – und auch wenn ich es nicht erklären kann, überfiel mich, während er sich

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