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In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

Titel: In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burnside
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beschrieben, einmal, einer Frau, die von Tromsø herüberkam, um sie für eine Regionalzeitung zu interviewen. Sie hatte sich große Mühe gegeben, es genau zu erklären, wie alles vom Warten abhing, vom Zustand extremer Bereitschaft, das Bild kommen zu lassen, und wie schwer es ihr fiel, nicht zu denken, nicht zu wählen, keine Entscheidung über ihr Tun zu treffen. Sie hatte es alles sorgfältig erklärt, was hieß, dass Mutter diese Journalistin gemocht haben musste, da ihr wirklich daran gelegen hatte, von ihr verstanden zu werden – und ich weiß noch, wie amüsiert sie reagierte, als Ryvold am folgenden Samstag den Artikel mitbrachte und die Frau ihre Erklärungen entweder vergessen oder beschlossen hatte, sie mit keinem Wort in ihrem Artikel zu erwähnen. Stattdessen hatte sie über die nordische Landschaft geschrieben, über ihre Einflüsse und wie mutig es von Mutter gewesen war, die Stadt zu verlassen, um hier draußen allein zu wohnen. Ständig schrieben sie darüber, was für eine Einsiedlerin sie war, doch schien es ihr nichts auszumachen. Damals glaubte ich, mit diesem neuen Journalisten, diesem Amerikaner würde es nicht anders sein und dass Rott, Ryvold und die anderen sich eines Samstagvormittags mit Mutter bei Tee und Cremeschnitten über das lustig machen würden, was er da geschrieben hatte.
    Ich folgte dem Weg hinab durch den zwischen Mutters Garten und den Wiesen gelegenen Birkenwald und überquerte anschließend die Küstenstraße. Es war eine ruhige Nacht, aber so ruhig sie auch war, ging auf dieser Straße doch stets ein leichter Wind, eine mit dem Geruch nach Meeresnebel und Kråkebolle gesättigte Luftströmung, die wie ein Fluss die Insel von einem zum anderen Ende durchflutete. Ich erinnere mich, wie mir dieses Windband über das Gesicht flatterte, als ich mich an der Straße nach eventuellem Verkehr umschaute. Dann lief ich über die erste Wiese und hielt mich abseits vom schmalen Pfad, der hinab zu Kyrres Hytte führte, da Martin Crosbie nicht denken sollte, dass ich ihm nachspionierte. Das Gras war trocken, aber so dicht und üppig und mit Wildblumen und Schatten durchflochten, dass ich anfangs langsamer wurde wie eine Badende, die im Wasser einen Sog spürt – und genau das war der Moment, in dem ich am anderen Ende der Wiese das Mädchen sah, wie es vom Strand heraufkam. Ich hatte es erst nicht bemerkt, und einen Augenblick lang dachte ich, meine Fantasie spielte mir einen Streich – schließlich bin ich in diesen hellen Sommernächten so anfällig wie jedermann für die wunderlichen Überspanntheiten, die ich aus Kyrres alten Geschichtenbüchern kannte. Gleich darauf aber wurde mir klar, dass es Maia war. Ich hatte sie seit dem Grunnlovsdag nicht mehr gesehen, als sie mit den Jungen der Sigfridssons dem Umzug der Turniertänzer und der durch den Maischnee gleitenden amerikanischen Oldtimer zugeschaut hatte; auch davor hatte ich sie monatelang nicht gesehen, wusste aber sofort, wer sie war. Wäre ich ihr zufällig in einem Geschäft auf der Storgata begegnet, hätte ich überlegen müssen, hätte in Gedanken zurückgehen und einen Namen aus der Liste jener Mädchen meiner Klasse suchen müssen, die ich jahrelang ignoriert hatte, doch hier draußen, in diesem Meer aus Gras und Schatten, erkannte ich sie sofort. Auf mich wirkte sie, wie sie es schon immer getan hatte, und ich dachte daran, wie ich ihr einmal auf dem Flur begegnet war, wenige Tage bevor sie von der Schule abging, ein Mädchen mit kurzem Haar, federndem, burschikosem Schritt und einem leichten Schwung, der besagte, dass sie bereit war, es mit der ganzen Welt aufzunehmen. Ich weiß noch, wie traurig mich ihr Anblick an jenem Tag stimmte, denn auf mich zumindest hatte dieser burschikose, gespielt raue Schwung genau die gegenteilige Wirkung gehabt. Er ließ ihre Angst sichtbar werden, und jeder, der sie nur ein wenig aufmerksam musterte, konnte erkennen, wie aufgesetzt diese scheinbare Lebhaftigkeit war. Sie hatte an jenem Tag gelächelt, nur war mir aufgefallen, dass sie die Fäuste geballt hielt, und ihr magerer, vogelleichter Körper kam mir eher unterernährt als schlank vor. Was nicht überraschte, dachte man an die Geschichten, die man sich über ihr Zuhause erzählte. Sie tat nur draufgängerisch – und an jenem Abend, als sie so schwungvoll aus dem Nichts auftauchte, an einem Ort, an den sie offensichtlich nicht gehörte, dachte ich, dass sie sich ebenso aufgesetzt wie damals benahm, was ich nun erst recht

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