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In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

Titel: In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burnside
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erbärmlich fand, da sie annehmen musste, dass niemand sie sah. Und aufs Neue tat sie mir leid, denn auch wenn ich nicht davon ausging, dass sie am Grunnlovsdag zu Mats und Harald gehört hatte, auch wenn sie wie jemand ausgesehen hatte, der in die private, flachshaarige Welt der Jungen eingedrungen war, nahm ich doch an, dass sie etwas für sie empfunden hatte, eine Zärtlichkeit oder auch eine wirre, romantische Verliebtheit, die nur bedeuten konnte, dass sie sich um ihrer selbst willen so aufgesetzt benahm, dass ihr Benehmen eine Art Schmerz oder Trauer verhehlte.
    Natürlich konnte ich mir nicht vorstellen, was sie verhehlte – und vielleicht war das der Grund, weshalb ich stehen blieb und mich dann abwandte, damit unsere Wege sich nicht kreuzten. Wäre ich weitergegangen, hätten wir uns mitten in diesem Meer aus Gras und Schatten getroffen, und das wollte ich plötzlich nicht. Ich wollte mich nicht aufdrängen, wollte sie nicht wissen lassen, dass ihr aufgesetztes Benehmen gesehen und durchschaut worden war, also blieb ich stehen und ging zwar nicht gerade in die Hocke, beugte mich aber doch so weit hinab, dass mein Kopf auf einer Höhe mit den hohen Gräsern war. Zugleich änderte ich die Richtung und lief, immer noch gebückt, zum Westrand der Wiese, wo sich der Grund zu einem kalten, schwarzen Bach absenkte, dessen Ufer beiderseits dichte Schleier einer staubblütigen, wasserliebenden Pflanze bedeckten, die Mutter schon oft für jene kleinen botanischen Studien und Stillleben gemalt hatte, die sie von Zeit zu Zeit zum eigenen Amüsement anfertigte. Enghumlebloms t – ein komplizierter Name für eine derart weit verbreitete Pflanze. Die botanische Bezeichnung lautet G eum rivale, was sie als Verwandte jener prächtigen roten und goldenen Blumen ausweist, die in Mutters Sonnengarten wachsen, nur während jene Pflanzen in warmen, trockenen Kalkboden gehören, zeigt die einheimische Variante des Nelkenwurz stets Wasser und dicken, feuchten Schlamm an.
    Eine Zeit lang kam es mir wie ein Spiel vor. Wie Verstecken etwa – eines dieser Spiele, auf die sich Kinder aus Spaß und Ernst mit anderen Kindern einlassen, Spiele, die sie, auch wenn sie nicht sonderlich viel für sie übrig haben, dennoch mitspielen müssen. Ich war mir sicher, dass Maia mich nicht gesehen hatte, da ich sie, auch als ich ihr in halb gebückter Haltung auswich, im Blick behielt – zumindest hatte ich das angenommen. Dreißig Sekunden lang, vielleicht auch länger, sah ich ihr zu, wie sie schwungvoll vom Strand den Hang hinauflief, das Gesicht leicht zur Seite gewandt, die Arme etwas angehoben, als ertastete sie sich einen Weg durch ein Kraftfeld – und dann, wenige Millisekunden später, war sie nicht mehr da. Ich habe keine Ahnung, wie es passiert ist. Ich habe sie nicht stolpern und hinfallen sehen; es gab keinen Moment, in dem sie mich bemerkt und sich ihrerseits gebückt hätte, um von mir nicht mehr gesehen zu werden, nein, in einem Augenblick war sie da, im nächsten verschwunden. Einfach lächerlich. Abrupt blieb ich stehen, richtete mich auf, suchte das dichte Gewoge von Gras und Wildblumen nach ihr ab und scherte mich nicht mehr im Mindesten darum, ob sie mich sehen konnte. Aber sie blieb verschwunden. Es war, als hätte sich die Erde aufgetan und sie verschlungen oder mir jemand einen Trick vorgeführt, wie im Kino, wenn den Filmemachern nichts Besseres einfällt, das Publikum zu betören oder zu verblüffen: Gerade noch da, im nächsten Moment fort, dabei hatte es keine Veränderung, keinen Übergang von hier nach dort gegeben, kein Verschwinden. Ich sah nach links in Richtung Hytte und rechnete damit, sie neben Martins Auto auftauchen zu sehen oder auf dem Weg gleich dahinter, doch da war niemand. Ich wartete auf eine Bewegung, gar ein schallendes Gelächter irgendwo im dichten Gras zwischen mir und der Stelle, an der ich Maia zuletzt gesehen hatte, denn es hätte mich nicht überrascht, hätte sie die ganze Zeit gewusst, dass ich dort war und nur so getan, als sähe sie mich nicht. Aber nichts geschah. Es war, als wäre sie nie dort gewesen – und nach einer Weile beschloss ich dann auch, dass sie es tatsächlich nie gewesen war. Es musste eine Illusion gewesen sein, eine optische Täuschung, die es mir erlaubt hatte, jene eine Person heraufzubeschwören, die den Schlüssel zum Rätsel in Händen hielt. Weshalb ich mich offenkundig blenden ließ, nicht von einem Mädchen oder einem Phantom, sondern von meiner eigenen

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